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die Absicht hatten, ihre Kammern nur um Rath zu fragen und dann so zu behandeln, als sie erst die Sache ihnen vorlegten. Im Gegentheil manche Symptome zeigten, daß sie die Absicht hatten, ihre Kammern zu ihren Bundesgenossen zu machen in demKampf gegen eine ihnen ungebührlich erscheinende Ausdehnung der Prärogative der Reich sregierung. Da die Einzellandtage durch das neue Gesetz den besten Theil ihrer Rechte verlieren, so ist es begreiflich, daß die Regierungen in dieser heiklichen Sache auf ihre Unterstützung rechneten. Bevor sie dieselbe jedoch erlangen konnten, drehten sie sich um und lehnten es ab, dieselbe zu empfangen, wenigstens in der bestimmten Form, in welcher sie erst um die Wohlthat gebeten. Für diese plötzliche Umkehr ist nur ein erdenkliches Motiv. Als der Bundesrath eingerichtet wurde, war es die Absicht ihn zum Beschützer der Rechte der Fürsten zu machen. Wie das Volk im Reichstag vertreten, so die Rechte der Könige, Herzöge und Fürsten im Bundesrath. So lange daher die Mitglieder des Bundesraths von den betreffenden Fürsten allein ihre Jnstructionen empfangen, so bleibt den deutschen Monarchen ein entscheidender Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten, wenn aber die Abstimmung jener Mitglieder ganz oder zum Theil von den Beschlüssen der Einzellandtage abhängen soll, so ist die Stimme des Volks, welche den Reichstag beherrscht auch im Bundesrath vertreten und die Stellung der beiden Körper zu einander ist wesentlich verändert.
Erwägungen dieser Art werden die Könige von Sachsen und Bayern bestimmt haben, ihre Politik in der beschriebenen Weise zu ändern. Zuerst wandten sie sich an ihre Lokalparlamente als nützliche Bundesgenossen gegen die Centralbehörden, aber sie sahen sofort das Zweifelhafte dieses Schachzugs ein, und aus Furcht vor einem gefährlichen Präcedenzfall lehnten sie die Allianz ab, welche sie eben gesucht. Erst erwarteten sie von den Lokalversammlungen ein Gegengewicht gegen die Centralbehörden, aber bei näherer Prüfung erinnerten sie sich, daß sie selbst Mitglieder der Cenlral- behörde sind, und daß wenn sie ihre Entscheidungen dem Votum ihrer Kammern unterwerfen, sie im Allgemeinen mehr verlieren, als sie für den besonderen Fall gewinnen. Es ist diese relative Beurtheilung der Situation, gegenüber den Centralbehörden auf der einen und dem Einfluß des Volks auf der andern Seite, welche demjenigen, der deutsche Politik studirt, so lehrreich ist. Wenn die kleineren Fürsten endlich zur Ueberzeugung gelangt sind, daß sie am besten ihre Souveränetätsrechte schützen, wenn sie die Centralregierung unterstützen, dann kann die Sache der Einheit als sicher betrachtet werden. Dann arbeiten alle politischen Interessen auf dasselbe Ziel hin.
Was das Volk in seinem Interesse verlangt, befördern die Fürsten aus conservativen Rücksichten — was Sicherheit vor auswärtigen Angriffen ge-