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Occupation; begreiflich daher, daß jeder selbstbewußte Italiener die Anwesenheit des Schiffes mindestens als eine Beleidigung auffaßte. Aber der „Ore- noque" blieb liegen, bis sich soeben bei derselben Veranlassung dieselbe Ge- schichte, wie voriges Jahr, abspielte. Natürlich kam den Franzosen dieser Zwischenfall im gegenwärtigen Augenblicke ganz besonders unangenehm; ließ man doch gerade Herrn Nigra dem Herzog von Decazes die herzlichste Freundschaft Italiens und die vollkommene Grundlosigkeit der Gerüchte über ein italienisch-deutsches Bundniß betheuern. Aber der „Soir" fand einen Ausweg aus der Verlegenheit: nicht die Italiener haben die Orenoqueaffaire wieder aufgerührt, sondern — der böse Bismarck,! Ein schönes Compliment für die Italiener, daß sie sich durch eine Intrigue des deutschen Reichskanzlers so sehr echauffiren lassen! Man weiß nicht, soll man mehr die Frechheit oder die Dummheit solcher Lügen bewundern. Merkwürdig nur, daß es in den Augen des „Soir" nicht auch Bismarck's Werk ist, wenn der „Orenoque" überhaupt noch in den italienischen Gewässern sich aufhält. Sicherlich würde man auf eine ähnliche Erfindung rechnen dürfen, wenn sich — wie angesichts der römischen Interpellation des klerikalen Du Temple vorauszusehen — die Behauptung des genannten Blattes von der unmittelbar bevorstehenden Zurückberufung des Schiffes von Civitavecchia nicht bestätigt. All' diese Tergi- versationen, mit denen man sich selbst und Andere zu betrügen sucht, helfen aber nicht über die sonnenklare Thatsache hinweg, daß die dermalige französische Politik eine solche ist, welcher kein italienischer Staatsmann vertrauen kann.
Auch die unausgesetzten Vertröstungen auf eine Umgestaltung des Cabi- nets in liberalerem Sinne können Niemanden täuschen. Selbst wenn es dem Ehrgeiz des Herzogs von Audiffret-Pasquier endlich gelänge, sich an die Stelle des Kriegsministers Du Barail zu sehen, selbst wenn in w^erer Konsequenz das rechte Centrum, die specifisch orleanistische Partei, das Heft ganz in die Hände bekäme, das Verhältniß zu Rom würde dadurch schwerlich irgendwie geändert werden. Was sonst die innere Politik anlangt, so mag sein, daß das neue Cabinet das Werk der Constituirung der Republik — natürlich nur der siebenjährigen — beschleunigen würde; denn von allen Parteien hat die orleanistische das größte Interesse daran, das gegenwärtige Provisorium zu befestigen. Die Willkürmaßregeln aber, mit denen die Regierung des Ordre moral zur Zeit die dictatorischen Acte des Kaiserreichs in Schatten stellt, würde auch ein aus lauter Mitgliedern des rechten Centrums bestehendes Ministerium nicht minder entschieden handhaben. In der That, in dieser Richtung eröffnet das neue Jahr die traurigste Perspective. Die Behandlung der Presse ist ohne Beispiel, Die Unterdrückung einer Reihe schweizerischer Blätter mag vorwiegend Rancune gegen die kleine Republik sein, die den Römlingen so