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verfolgen und in dem großen Gange der Gesammrentwickelung die einzelnen Fäden festzuhalten. Aber ganz dieselbe Anstrengung wird dem Leser eines jeden geschichtlichen Werkes von nicht ausschließlich biographischem Charakter zugemuthet. Die Ausgabe wird aber sehr erleichtert durch die Energie, mit welcher die einzelnen Erscheinungen zur Darstellung kommen. Die Eigenthümlichkeit der hervorragendsten Werke tritt so scharf hervor, daß sie sich der Vorstellung des Lesers unauslöschlich einprägt. Einer kurzen und treffenden Charakteristik der einzelnen Werke schließen sich, oft in wörtlicher Anführung, die Hauptstellen an, welche den Schlüssel zum Verständnisse des Werkes und des Schriftstellers selbst in seinem augenblicklichen Entwicklungsstadium bieten. Erscheint uns nun derselbe Schriftsteller in einem neuen geschichtlichen Zusammenhange, in einem weiter vorgeschrittenen Entwicklungsstadium, so wird der aufmerksame Leser — und aufmerksame Leser setzt der Verfasser allerdings voraus — ohne allzugroße Mühe den Faden wieder aufnehmen, den er an einer andern Stelle hat liegen lassen; und so ist er im Stande, in dem großen Zusammenhange stets die individuelle Erscheinung als solche festzuhalten und in ihrer lebendigen Totalität aufzufassen.
So kommt also auch bei der Methode des Verfassers die einzelne Individualität vollkommen zu ihrem Rechte, und wir werden zugleich in den Stand gesetzt, die einzelne Erscheinung in ihrem geschichtlichen Zusammenhange, das heißt in ihrer Abhängigkeit von den allgemeinen geistigen und politischen Strömungen aufzufassen, und andererseits ihren Einfluß auf diese zu erkennen. Denn hier wie überall in der Geschichte wird ja das Bedingte auch immer wieder zum Bedingenden. Und diese gegenseitige Bedingtheit aller Entwicklungsfactoren ist vielleicht in keiner Zeit größer gewesen, als in der im vorliegenden Werke geschilderten; der Einfluß der politischen Strömungen und Stimmungen, der wechselvolle Verlauf der politischen Parteikämpfe, die Haltung der Partei der Regierung gegenüber findet stets ihren Wiederhall in der Literatur, und nicht etwa bloß in den polirischen Tendenzschriften, sondern in der gesammten literarischen und geistigen Bewegung, in der Poesie wie in der Geschichtschreibung, die selbst, wo sie sich mit glänzenderem Erfolg in die Vergangenheit der Nation vertieft, vielfach ihren Antrieb von der Gegenwart empfängt und mächtig auf die Gegenwart zurückwirkt. Es dient also nicht blos zur chronologischen Orientirung, wenn der Verfasser stets den Faden der politischen Ereignisse in kurzem zusammenfassendem Ueberblicke der Hauprbegebenheiten festhält; sondern die politische Entwicklung zeichnet in gewissem Sinne der geistigen Gesammtentwickelung ihren Weg vor, so daß diese ohne jene gar nicht in ihrer ganzen Bedeutung verstanden werden könnte. Die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Literatur, zwischen allen einzelnen Richtungen des nationalen Lebens sind vielleicht in keiner