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bekannte Freunde, zum Theil auch einzelne neue Erscheinungen vorführen. Da ist Putlitz' liebliche Naturpoesiel Was sich der Wald erzählt in 33ster Auflage! Ob des Waldes jüngeres Schwesterchen „Vergißmeinnicht" auch von G. v. Putlitz ebenso viele Auflagen erleben wird? Wir wagen es nicht zu prophezeihen. — Zwar lieblich muthet uns die Erzählung an, welche die kleine Elfe aus den verwehenden Blättern eines Vergißmeinnicht dem Heinzel- mann erzählt, aber als das jüngere Kind desselben Genres und derselben Muse zeigt das Vergißmeinnicht weniger Originalität als der märkische Wald, von dem uns erst Putlitz erzählen muß, wie mancherlei Wunder er auf dem seinem Sandboden birgt. In der ..Walpurgis" desselben Verfassers schlägt mehr reales Leben als in den beiden erstgenannten Werkchen-, eine klare Schilderung von Zeit, Stand und Sitten; die durchaus auf der Wirklichkeit fußenden Charaktere würden vielleicht die Erzählung ganz aus dem Märchenrahmen herausheben, wenn nicht die geheimnißvolle Gestalt des Armeniers, der zuerst dem überlustigen Bürgermädchen das Lachen, dann der heimwehkranken Frau die Thränen abkauft, wie ein Schatten durch die Blätter des Buches wandelte.— Ein anderer Repräsentant der Lovely-Poesie ist Theodor Storm. In seinen „Zerstreuten Kapiteln" auf der Fahrt nach der Hallig finden wir eine feine, stimmungsvolle Landschaftsmalerei, die in ihrer genauen Detailbehandlung viel Verwandtschaft mit Wilhelm Jensen zeigt, wie denn auch diese beiden Schriftsteller mit Vorliebe die deutschen Nordküsten zum Schauplatz ihrer Erzählungen wählen. Aber während Jensen's Pantheismus gern mit dem Sturm über das aufgewühlte Meer braust, versenkt sich Storm in die tiefen, friedlichen Narurtöne, und ein Hauch stiller Resignation liegt über den Tagebuchblättern des alten Onkels auf der Hallig, über dem einsamen Kirchhofsgang bei der Heimkehr sowohl wie über „Jm- mensee", dem bekanntesten Werk des Dichters, das schon die 17. Auflage erlebt hat. Mit Storm's „Geschichten aus der Tonne" sind wir wieder mitten drinnen im Märchenreich. Diogenes in seiner Tonne setzte sich einst durch äußerste Bedürfnißlosigkeit über die Gebrechen der schlimmen Welt hinweg, zwei muntre Knaben in ihrer Tonne aber vergaßen die Welt umher über die Wundergeschichten, die sie einander erzählten. Da wurde die sagenhafte Gestalt der Regentrude heraufbeschworen, dem ausgedörrten Land Wachsen und Gedeihen zurückzugeben, da wurde der Wucherer Bulimann für den verschuldeten Tod des kleinen Knaben von den Katzenungeheuern bestraft, da giebt's zum Unterschied von der althergebrachten bösen Stiefmutter neben dieser auch einmal eine gute. In all diesen Erzählungen aber bewährt sich Storm wieder als sorgfältiger Miniaturmaler, der die ganze Umgebung trefflich dem Charakter der Situation anzupassen weiß, die kleinen Naturgeister lauschen wieder aus ihren Schlupfwinkeln hervor, und in den zwei bekannten Büchern von Marie Petersen in „Prinzessin Ilse" und in den „Irrlichtern" sind sie so vollzählig versammelt, als sollte Königin Titania Revue halten. Mit ihrer lieblich anmuthtgen Naturschilderung sind gerade diese beiden Bücher das Entzücken jenes Alters, dem noch die Werke von Shakespeare, dem Stammvater aller Elfenpoesie, und die meisten von Goethe unverstandne Größen sind.
Verantwortlicher Redakteur: v»>, HanS Bl«m. Verlag von F. «. Herbig. — Druck von Hiithel Legler in Leipzig.