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paar Strichen an und läßt die Körperformen durchscheinen. Genelli schafft sich die Gewandung, wo es irgend geht, vom Leibe und schwelgt in der Darstellung des Nackten. „Die Lumpen genirten ihn", wie er selber doppelsinnig sagte, im Leben und in der Kunst. Aber von Carstens' Gewandung sollte der Illustrator des Sophokles etwas haben; Lachmann's Kleider verhüllen zu viel, sie sind nicht, wie in der Antike, das „Echo der Gestalt". Wenn man an irgend etwas erkennen könnte, daß Lachmann Dilettant ist, daß er nicht nach der Natur, sondern nach Vorlagen und nach seiner Einbildung gezeichnet hat, so wäre es die Gewandung.
Endlich noch ein Wort über den geistigen Gehalt. Von Flaxman sägte Kugler, daß seine Compositionen „etwas eigenthümlich gehaltenes und gemessenes, man möchte sagen etwas schweigsames haben." Fügt man noch hinzu: eine schlichte Größe und eine unnachahmliche, oft geradezu entzückende Einfalt, fo ist der Geist seiner Darstellungen damit ungefähr charakterisirt. Es waltet eine Stille und Unschuld in diesen Blättern, die uns nicht selten ein Lächeln entlockt, aber gewiß nie ein spöttisches. Den Ton der homerischen Dichtung hat keiner wieder so getroffen wie Flaxman. Im griechischen Drama herrscht natürlich ein anderer Geist als in dem homerischen Epos. Trotzdem unterscheiden sich Flaxman's Umrisse zu Aeschylos nicht wesentlich von denen zu Homer. Bei Carstens aber kommt die ganze grandiose Hoheit, die Kraft und Kühnheit der griechischen Tragödie zur Erscheinung, und in seinem Sinne und Geiste hat Genelli sogar seine Homerdarstellungen conci- pirt. Lachmann hat weniger grandioses, weniger von dem, was man früher den „großen Styl" nannte; wie Sophokles von Aeschylos, so unterscheidet sich Lachmann von Carstens; in seinen Schöpfungen waltet eine durchaus maßvolle, schlichte Hoheit. Selbst freundliche genrehafte Züge verschmäht er nicht, und sie stehen ihm gut. Echt antiker Geist scheint uns am meisten bei Flaxman vorhanden zu sein; Carstens und Genelli sind an Michel Angelo groß geworden. Lachmann's Bilder sind modern im besten Sinne; sie sind genau so griechisch und genau so deutsch wie Goethe's Jphigenie. Stünde seine Antigone. die den Wächtern gegenüber so selbstbewußt ihre That bekennt, allein da, man könnte ihr die Worte des Klopstock'schen Vaterlandsliedes in den Mund legen: „Ich bin ein deutsches Mädchen! Ich hab' ein Herz, das edel ist und stolz und gut." Und das ist es schließlich, was diese schönen und reinen Blätter unsrem heutigen Geschmack nicht minder nahe dringen wird, als ihre malerische Komposition.
Länger, als dem bescheidenen Schulmanne vielleicht selber lieb sein wird, haben wir uns mit den Kindern seiner Muße beschäftigt. Aber wir glaubten ein Recht dazu zu haben. ..Umrißzeichnungen zu Sophokles" sind in unsrer Zeit der Genrebilder und Landschaften ein künstlerisches Phänomen, an dem
Grenzboten IV. 1873. 53