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beim Auftrennen ihres GewebeS überrascht" und noch ein paar andere. Lachmann hat durchzuführen gewagt, was jene nur versucht haben; seine Darstellungen sind von der ersten bis zur letzten alle entschieden malerisch com- ponirt. Die Scenerie ist keine skizzenhafte Abbreviatur mehr, sie ist durchgeführt wie alles übrige, sei sie nun gebildet durch den dichtbelaubten und schattigen Hain der Eumeniden oder durch eine weite Landschaft mit Fernsichten auf Berg und Meer, durch die äußere Architektur eines königlichen Palastes oder durch das Innere eines reich und behaglich ausgestatteten Frauengemachs. Und dennoch kann man auch Lachmann's Bilder als nichts andres bezeichnen, als wofür er selbst sie giebt, als Umrißzeichnungen.
Mit Recht ist, wie wir oben schon sagten, das Beispiel, welches Flaxman durch die Technik seiner Zeichnungen gegeben, auch von seinen Nachfolgern im Wesentlichen befolgt worden. Es ist, als widerstrebe es unserem Gefühl, die Gestalten der antiken Sagenpoesie, die wir mit dem geistigen Auge anzuschauen gewohnt sind, in jener vollen Realität, die die Farbe verlciht, vor uns zu sehen. Sicherlich ist es kein bloßer Zufall, daß gerade Künstler, wie Flaxman, der ja eigentlich Bildhauer war und außer seinen Zeichnungen nur Plastische Werke geschaffen hat, Carstens und Genelli. die beide in erster Linie nicht Maler, sondern Zeichner waren, das Hervorragendste auf dem hier besprochenen Gebiete geleistet haben. Carstens wurde von seinen Zeitgenossen verächtlich ein „Skizzirer" genannt. Sehr mit Unrecht; denn zwischen einer Skizze und einer Umrißzeichnung ist ein gewaltiger Unterschied. Die Skizze ist thatsächlich etwas Unfertiges; an ihr hat der Künstler selbst noch innerlich durchzubilden und zu vollenden. Der Umriß aber muß innerlich bereits völlig durchgebildet sein; nur äußerlich kann die Phantasie des Beschauers etwas hinzuthun, nur äußerlich kann sie das Angedeutete sich weiter ausführen. Je geistvoller der Künstler ist, desto mehr wird er die Phantasie zu dieser Thätigkeit anregen, ja zwingen. Allerdings sind nun auch in der Umrißzeichnung verschiedene Gmde der Ausführung denkbar, und in dieser Beziehung kann man sich keinen größeren Abstand denken, als zwischen Flaxman und Lachmann. Bei Flaxman ist das Wort „Umrißzeichnung" in den meisten Fällen buchstäblich zu verstehen. Er hat nackte weibliche Gestalten gezeichnet, in denen er — da sie wegen der weichen Rundung ihrer Glieder weniger ModeUirung im Detail beanspruchen — thatsächlich sich auf eine einzige Linie beschränkt und jede eingestreute Schattenlinie verschmäht hat. Scheinbar mühelos hat er mit den denkbar einfachsten Mitteln, oft mit wenigen Strichen nur, einen unendlichen Reichthum von Schönheit aus die Fläche gezaubert. Bei Carstens und Genelli tritt uns schon eine weit detaillirtere Ausführung entgegen, und diese überbietet wiederum Lachmann noch um ein beträchtliches.
Die Formgebung Lachmann's bekundet fast durchweg den reinsten und