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noch Niemand gemacht hat, einmal die hervorragenderen Leistungen auf dem Gebiete der Illustration antiker Dichterwerke zu überblicken und mit Hilfe eines etwas eingehenderen Vergleiches Lachmann die Stelle anzuweisen, die ihm in Wahrheit gebührt.
Es ist ein Irrthum, wenn man, wie es nicht selten geschieht, behauptet, „illustrirte Clasfikerausgaben" seien eine Errungenschaft der neuesten Zeit. In der deutschen Literatur hat die erste Hälfte unsres Jahrhunderts, in der englischen und französischen schon das ganze vorige Jahrhundert genug der Art hervorgebracht. Die Thatsache, daß Engländer und Franzosen uns darin vorangegangen sind, hat nichts auffälliges; wie hätten wir kostbare Clasfikerausgaben publiciren können, da wir noch keine Clasfiker hatten? Was wir aber hatten, eben so gut hatten, wie die Engländer und Franzosen, das waren die Classiker des griechischen und römischen Alterthums. Und da kann es denn Wunder nehmen, daß allerdings auch in der Herstellung von künstlerisch ausgestatteten Ausgaben antiker Dichter uns andre Völker lange vorausgegangen sind. Solchen Erscheinungen z. B., wie dem kostbaren Pine'schen Horaz (London 1733—37), dessen Text vom ersten bis zum letzten Buchstaben durchweg in Kupfer gestochen und mit zahlreichen, nach.Antiken gezeichneten Vignetten geschmückt ist. dem Sandby'schen, ebenfalls nach Antiken illustrirten Horaz (London 1749), der Justice'schen Vergilausgabe (Haag 1757), die Marco Pitteri, der durch seine eigenthümliche Technik merkwürdig gewordene veneticmische Kupferstecher, mit Abbildungen nach der Antike schmückte, und nun gar der prachtvollen vierbändigen Quartausgabe von Ovid's Metamorphosen, die Basan und Le Mire 1767 — 71 in Paris publicirten, und die von einer Reihe der bedeutendsten Zeichner und Kupferstecher jener Zeit (C. Eisen, Boucher, Monnet. Moreau le jeune, Choffard u. a.) mit 141 Kupfertafeln und zahlreichen Vignetten geschmückt ist, solchen Erscheinungen hat Deutschland im Laufe des 18. Jahrhunderts unsres Wissens nicht das Geringste an die Seite zu setzen. Ein wohlhabender und „eleganter" deutscher Gelehrter des vorigen Jahrhunderts, der aus eine auch äußerlich schöne und kostbare Bibliothek hielt, war schlechterdings darauf angewiesen, sich seine antiken Classiker von England und Frankreich kommen zu lassen. Erst im Jahre 1800 erschienen in Leipzig der Mitscherlich'sche Horaz und der große Heyne'sche Vergil. für welche beiden Fiorillo eine Anzahl von Vignetten, zum Theil nach der Antike, gezeichnet hatte, 1802 die Heyne'sche Jlias, die auch eine Reihe Vignetten brachte. Aber diese Ausgaben sehen ärmlich aus gegen das von den Engländern und Franzosen geleistete.
Den illustrirten Textausgaben antiker Dichter stellen sich nun aber seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts besondere Bilderkreise an die Seite, in denen der Text des Dichters gänzlich zurücktritt und die bildliche Veran-