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Die Russen in Centralasien.
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speist" wie mit der Fabel vom Hirten und vom Wolfe. Man glaubt dem Hirten nicht mehr, wenn er schreit, der Wolf sei in seine Herde eingebrochen, und in der That hat sich nach einem scheinbaren Stillstande Rußland stets wieder Gelegenheit zu aggressivem Vordringen geboten, und diese Gelegen­heiten werden in Zukunft nicht nur nicht fehlen, sondern sich höchst wahr­scheinlich mehren. Daß die damit zunehmenden Schwierigkeiten in der Be­herrschung eines unterjochten feindlichen Landes von Rußland bewältigt wor­den, hat die Erfahrung gelehrt und ein Widerstand gegen seine Pläne, komme er nun von Seiten der Einwohner Turkestans oder von Seiten der Englän­der, hat wenig oder keine Aussicht auf Erfolg. Wo freilich die Grenze des russischen Vordringens liegt, wo seine Ländergier gesättigt sein wird, können wir nicht mit Sicherheit voraussetzen, wenn wir auch mit Herrn Vamb<5ry geneigt sind anzunehmen, daß der Oxus jene Grenzlinie bilden wird, so daß Afghanistan, ohnehin durch den letzten Vertrag zwischen Rußland und Eng­land in dieZwischenzone" gelegt, von den Russen verschont bleiben wird. Für Indien fürchten wir nicht.

Immerhin wird es gut für den Staatsmann, den Politiker, den Ge­schichtsforscher, den Geographen wie Ethnographen sein, Mittelasien scharf im Auge zu behalten. Wer Neigung verspürt über die Gesammtheit der Frage vollständig orientirt zu werden, die einzelnen Phasen derselben kennen zu lernen, dem wird Friedrich von Hellwald's Schrift dazu sehr ausgiebige Ge­legenheit bieten. Der Redacteur desAuslandes" ist einer der fleißigsten und gewandtesten Schriftsteller, die wir kennen, er besitzt eine erstaunliche Viel­seitigkeit, versteht es die schwierigsten Stoffe zu beherrschen und übersichtlich zu gruppiren, so daß er selbst einen so reichen Stoff, wie die Erforschung und neuere Geschichte Mittelasiens, in den knappen Raum von 200 Seiten hin­einzupressen vermag. Die Quellen, welche der Autor benutzt, sind nicht stets gleichwerthig und namentlich erscheinen Zeitungen nicht immer genügende Sicherheit und Originalität zu bieten.*) Indessen, wo die Tagesgeschichte im Flusse ist und gleichsam Augenblicksphotographien gegeben werden müssen, die

") Wie vorsichtig Zeitungsnachrichten benutzt werden müssen, erkennt man aus der An­nahme, daß die Expedition gegen die Buschaisgegen den russischen Einfluß in China" gerich­tet gewesen sei (S. 199). Diese unrichtige Ansicht hat der Triester Correspondent der Allg. Ztg. seiner Zeit in die Welt gesetzt und seine ungenannte Quelle, die wir controlliren können, war die China-Overlcmd-Matl. Bei der Buschaicxpedition handelte es sich nur um die Züch­tigung eines raublustigen Nachbars, wie der ganze Verlauf der Expedition bewiesen hat. Daß die ganze englische Presse in mittelasiatischen Dingen schlecht unterrichtet gewesen sei (S. 172) können wir nicht zugeben. Der Berliner Correspondent derTimes" brachte die gehalt­reichsten Revuen über die russische, auf Mittelasten bezügliche Literatur, Auszüge aus allen be­deutenden russischen Zeitungen, die Turkestanski Wjedowosti einbegriffen. Auch Saturday Re- view war stets vorzüglich unterrichtet.