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in den kindlichen Zügen, und sein Pendant, die kleine „Italienerin", die aber, ehrlich gestanden, in ihrer halb modernen Kapuze nebst Kragen und mit ihren deutschen Zügen, lediglich durch das in unseren Gauen nicht gerade gewöhnliche Kaufsangebot eines Meerschweinchens sich als Landsfremde legitimirt. Wenn wir dann noch die reizenden Idyllen erwähnen, des Mädchens „am Fenster", das, von Tauben umgirrt, ihrer Blumen und Pflanzen sorgsam wartet, und des „Mädchens mit der Ziege", die dem Appetit ihres gehörnten Pflegebefohlenen auf frische Gräser und Kräuter so freundlich zusieht, so sind die ernsteren Blätter des zweiten Theiles erschöpft. Sie sind am wenigsten Skizzen; alle mit Liebe, theilweise mit größter Virtuosität ausgeführt — nur die Hände der schlummernden Gattin des Kevlaarer Pilgers sind sehr skizzenhaft behandelt — und auch hier, „am Fenster", finden wir die lieben Züge wieder, die im ersten Theil des Skizzenbuchs so manchen Mädchenkops zieren. Wenn der Griffel des Künstlers das sinnigste und schönste ausdrücken will, so prägt er diese Züge aus. — Welches Mädchen immer sie in ihrer Jugend trug, diese Züge werden bleiben, auch wenn das Original längst den Weg alles Irdischen gegangen. Denn kurz ist das Leben, lang und heiter die Kunst.
„Und der Lebende hat Recht!" Albert Hendschel ist der Letzte, dieses Recht zu bestreiten. In jedem lachenden Kinde, in jedem tändelnden Liebespaar, in allem unfreiwilligen und unbewußten Humor des täglichen Lebens prägt es sich aus. Und der Künstler ist ein freudiger, genauer, sympathischer Beobachter aller dieser Scenen. Noch sehr selten wahrlich, auch Ludwig Richter und Oscar Pletsch nicht ausgenommen, ist das Kinderleben wahrer und lieblicher dargestellt worden, als in Hendschel's Bildern. „Naschende Kinder" führt das erste Blatt des zweiten Bandes uns vor. Sie — etwa vier Jahr alt — hat bei dem durch einen gigantischen Zuckerhut hinter dem Ladenfenster als einem süßen Kaufmann gekennzeichneten Gewerbtreibenden durch irgend einen justinianeischen Erwerbstitel eine Zuckerdüte erobert, die, wie das menschliche Haupt der klassischen Plastik, ungefähr den sechsten Theil ihres ganzen Körpers ausmacht. Er — ein Bursch von vielleicht sechs Jahren — schaut in die Düte mit dem kritischsten Blicke seines Jahrhunderts. Die Prüfung ist auf Quantität und Qualität des Leckerbissens zugleich gerichtet, welchen die Kleine für ihn herauszuholen im Begriffe steht. Wenn es ihm aber nicht ganz nach Wunsch geht, dann macht er's wie die großen Recensenten. Er nimmt die mäßige Gabe als Abschlagszahlung an und beklagt sich über Lieblosigkeit, Mangel 'an 'Anerkennung oder das rapide Sinken des öffentlichen Verständnisses für seine Schmerzen. Die rechte Hand des Jungen, die der Künstler früher bestimmt hatte, vermeintliche Fehler der Regie in der Auswahl der Stücke (aus der Düte) zu corrigiren, hat der Maler weggewischt. Könnte man doch mit etwas Gummi auch der öffentlichen Kritik gegenüber soviel erreichen. Oder läge der Gummi wenigstens immer in so sachverständiger Hand! So könnten wir an jedes der humoristischen Blätter Hendschel's lange Betrachtungen knüpfen, und z. B. die Frage aufwerfen, ob nicht der polizeiwidrige Blick des Jesuiten nach der neben ihm im „Iram 6e Msir" sitzenden entschlummerten Dame eines der brillantesten Plaidoyers für die Nothwendigkeit der Reichsausweisung der Jesuiten ist, das uns zu Gesichte gekommen? Doch der Leser mag selbst schauen — und kaufen. Er wird es sicherlich nicht bereuen!
Verantwortlicher Redakteur: vr. HanS Blum. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthel Lcglcr in Leipzig.