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die in den „Namenlosen" bestimmend auftreten, leiden unter einem krankhaften Uebermaß an Pantheismus oder Naturalismus. Das Leben des Thieres ist dem blinden Walten der Naturkräfte in dem Maße Unterthan, wie Jensen es von den Helden in seinen „Namenlosen" annimmt. Aber der Mensch mit Nichten. Ihm ist der durch Sittengesetze geläuterte Wille eigen, der die Winde und Fluthen des Oceans, den Sand und die Dünen ebenso zu bemeistern strebt, wie die Wallungen des eigenen Herzens. „Der Mensch muß nie müssen", sagt schon Lessing. Und die Natur der „Kreuzspinne und des Schmetterlings, d. h. der Gedanke, daß Alles vergeht, die Freude, daß es heute noch besteht", sind nicht die höchsten Ziele, die Menschen erstreben können. An einer Stelle des Romans, im ersten Bande, zeigt sich klar die Schwäche dieser Weltanschauung. Swen Taken, der Held der Dichtung, ergreift mit glühender Wärme und in beredtester Weise die Partie der Kinder der Liebe — er selbst ist eines — und wirft die Frage aus, ob die Beobachtung der willkürlichen Formalität der Heirath Seiten der Eltern des Geborenen diesem irgend ein besseres Recht an die Welt und die Freuden des Lebens gebe, als dem Sprößling einer freien Verbindung. Der Jammer der leiblichen und seelischen Existenz außerehelicher Kinder ist in der Schilderung Jensen's Wort für Wort zu unterschreiben, und es bleibt davon leider genug übrig, wenn man ihnen auch allen pharisäischen Hochmuth erspart denkt, der in Jensen's Schilderung ihrer Leiden eine große Rolle spielt. Aber gerade an dem sehr verschiedenen Maße von Anwartschaft auf irdische Glückseligkeit, auf Erziehung, Leitung und Ueberwachung, die den einen oder den andern von Haus aus bereitet ist, erkennt man, daß nicht eine bloße Formalität den Unterschied ihres Daseins ausmacht. Jede Ehe trägt in ganz anderem Maße als die flüchtige Liebe in sich das Bewußtsein der Verantwortlichkeit, die Gewähr für den Bestand der Heimstätte, herzlicher Liebe der Gatten unter einander und zu ^den Kindern, in guten und bösen Tagen. Und dieses Verhältniß ist so wenig Zufall und Willkühr der Menschen, daß es vom Ur- beginn menschlicher Geschichte an die Grundlage aller sittlichen und staatlichen Ordnung gebildet hat.
Jensen's deutsche Natur erkennt die einfache Logik dieser Thatsachen im Grunde auch an und hat davon eben in dem neuesten Roman „Nach hundert Jahren"") unwidersprechliches Zeugniß abgelegt. Dieser Roman spielt im Elsaß während des Krieges von 1870. Der Held ist badischer Landwehroffizier, verliebt sich vor der Kriegserklärung in seine elsässische Cousine, in der Nachbarschaft von Sesenheim natürlich, und erobert sie mit Straßburg.
') A, Hildebrcmds Verlag, Schwerin, 1874. Der Jcnscn'sche Romnn „Drei Sonnen" mi? demM'm Verlas, ist uns leider zu spät zuMaugen. Wir kommen dnrouf zurück. Grenzbotm IV. 187S. 43