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Pariser Briefe.
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ein schweres Unglück. Wie Sie wohl wissen, hatte dieses Theater nur ein provisorisches sein sollen, aber diese provisorische Existenz hat länger als 40 Jahre gedauert, und hat nicht verhindert, daß dieses Haus in der Geschichte der dramatischen Musik eine bedeutungsvolle Rolle gespielt hat. Hier wurden Meyerbeer's Opern:Robert der Teufel",Die Hugenotten",Der Pro­phet" undDie Afrikanerin" geboren, ebenso Halevy'sJüdin", Auber's Stumme von Portici", Rossini'sTel!" und, wenn ich nicht irre, auch Donizetti'sFavoritin"; hier sangen Duprez, Noger, Rosine Stoltz und Sophie Cruvelli, und tanzten die große Taglioni, und Fanny Elßler; hier wurde vor 12 Jahren Wagner'sTannhäuser" gewaltsam ums Leben ge­bracht, ein Unfall, bei dem die musikalische Beurtheilung gar nicht im Spiel war. Vom Material an Decorationen, Costumen, Maschinen und dergleichen ist wohl Nichts gerettet worden, was dagegen mit den Statuen, die im Foyer standen, u. A. der Büste Rossini's, gelungen ist. Auch habe ich ge­lesen, daß die 8 Frauen-Statuen, die an der Haupt-Facade der Oper standen, gerettet worden sind, und wie es scheint, sind dieselben also von Werth ge­wesen, was wohl Niemand wußte. Es sind dies die acht Statuen, von de­nen Heine erzählt, daß sie die neun Musen darstellten, daß es auch ur­sprünglich neun gewesen seien, daß aber die eine davon, die Muse der Musik, es nicht mehr habe aushalten können, die Musik mit anzuhören, die da drin gemacht wurde, und fortgelaufen sei. Vor der Front dieser 8 Musen führte 1838 Orsini sein Attentat gegen den Kaiser aus, ein Verbrechen, wel­ches er mit dem Kopfe büßte, welches aber wohl nicht ganz ohne Einfluß war auf den italienischen Krieg von 1869, und also auch auf alles das, was direkt und indirekt daraus folgte.

Da das neue Opernhaus, an welchem seit 10 oder 12 Jahren gebaut wird, erst in Jahr und Tag fertig sein kann, so muß für ein provisorisches Lokal gesorgt werden, denn einen oder gar zwei Winter kann Paris nicht ohne Oper bleiben, und das Personal muß ernährt werden. Noch ist darüber kein Beschluß gefaßt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird man sich für das Chatelet-Theater entscheiden. Dasselbe ist zwar sehr unschön, und soll in akustischer Beziehung entsetzlich unvortheilhaft sein, aber es ist groß, der Zuschauerraum sowohl wie die Bühne, und ist, weil an chronischem Bankrott leidend, jeden Augenblick verfügbar. Es ist auch groß genug, um die Masken­bälle darin abhalten zu können, deren glänzendem, buntem Treiben freilich die Entfernung von den Boulevards Abbruch thun wird.

Ein spaßhaftes Abenteuer ist während des Brandes der Oper dem Bild­hauer Carpeaux passirt. Derselbe ist zufällig an Ort und Stelle gewesen, und hat das gräßliche Schauspiel so wunderschön gefunden, daß er der Ver­suchung nicht hat widerstehen können, es zu ftizziren. Er hat also sein