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wir Typen und Portraits, oder wenn man lieber will Karrikaturen, aus der Geschichte und der Gesellschaft; wir sehen hier den Viehhändler neben dem neugeborenen Pair, die Herrn Schiff und Scharf im Proceß neben dem Sardanapal im Tricot, den Beust'schen Hofrath Klaczko neben seinem schreib- seiigen Prvtector dem Grasen Polytropos selber; wir hören Palacky's Abschiedswort und die Vertheidigungsrede des Giskra; Herr v. Schmerling wird uns als Lord-Obersozialist dargestellt; und Lonyay, Rieger, Pater Fleischmann und Fräulein Gallmayer werden uns in einem anderen Kapitel als vierblättriges Kleeblatt alle zugleich vorgeführt, oder wenn man so lieber will, vorgeritten; endlich sind die Kapitel „Zur Schöpfungsgeschichte junger Banken", „Zur Analyse der Generalversammlungen" und andere Skizzen aus dem Gebiete der wirtschaftlichen Ausschreitungen, als ganz besonders gelungene Cabinetsstücke zu bezeichnen.
Bei Schlögl tritt das warme Kolorit, bei Spitzer die scharfe Zeichnung hervor. Dort herrscht der Humor und hier die Satire. Das „Wiener Blut" liest man, namentlich wenn man Wien schon aus eigener Anschauung kennt, in einem Zuge. Das Buch von Spitzer wird ein Feinschmecker nur blattweise genießen, wie eine Artischoke, jeden Tag ein Kapitel. Es sind deren sechzig, und wenn man die Lectüre beendigt hat, so wird man versucht sein, sie sofort von Neuem zu beginnen. Das Buch von Schlögl zeigt uns „Wien, wie es ist", das von Spitzer aber „Wien, wie es nicht sein sollte". So ergänzen beide einander. Der Eine malt die Licht- und der Andere die Schattenseiten. Beides zusammen ist die Wahrheit.
Man würde sehr unrecht thun, wenn man annehmen wollte, in Oesterreich sei Alles so, wie das, was Spitzer uns zeichnet. Viele unserer deutschen Alterthümler und Philologen sind ja bekanntlich in einen ähnlichen Irrthum verfallen, indem sie sich das alte Rom nach den Satiren des Decimus Junius Juvenalis und nach den Epigrammen des M. Valerius Martialis construirten. Man darf nicht vergessen, daß man die Satiren nicht dichtet zu dem Zwecke, daß sie als alleinige Geschichtsquelle dienen. Spitzer dichtet Satiren, wenn er sich auch nicht der Hexameter des Juvenalis und der Distichen des Martialis bedient; und wie die Gedichte der letztgenannten sind auch seine „Spaziergänge" Gelegenheitsgedichte ersten Ranges, d. h. im Goethe'schen Sinne.
Ich habe die „Spaziergänge" schon seit dem Jahre 1870 gelesen. Sie erschienen als Feuilletons, zuerst in der (alten) „Presse" und dann in der „Deutschen Zeitung". Schon ihre knappe Form hat etwas außerordentlich Anziehendes. Herr Spitzer läßt sich jede Woche nur einmal vernehmen und auch dies eine Mal nimmt er selten mehr und oft weniger, als das un-