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fallen ist. Diese Mufik. welche jeden Morgen bald hier, bald dort, einen neuen Gast begrüßte, brachte immer einiges Leben in die Stille des Jnsel- dorfes.
Was nun den Strand anbetrifft, so unterscheidet man einen Damen- und einen Herrenstrand, durch die Marienhöfe von einander getrennt. Es ist komisch: während man an denen zum Damenstrand fühlenden Wegen jeden Augenblick auf eine Warnungstafel stößt: „Verbotener Weg für Herren, wenn die Fahne auf der Marienhöhe aufgezogen ist," habe ich ein solches „Bishierhin und nicht weiter" für Damen auf der ganzen Insel nicht gefunden, obgleich dies im Interesse der Parität seine volle Berechtigung hätte.
Bor dem Herrenstrand erhebt sich der Strandpavillon, eine Restauration, vulgo „Giftbude" genannt. Woher diese Bezeichnung komme, darüber ist viel geforscht worden, aber die Gelehrten sind noch nicht einig darüber. Einer meinte, das Haus hätte den Namen daher, weil Alle, welche jemals dort etwas verzehrt hätten, früh oder spät unrettbar dem Tode verfallen seien. In der Giftbude ist ein interessantes kalligraphisches Kunstwerk zu sehen, eine Lithographie, welche den Text der Friedens-Präliminarien vom 28. Februar 1871 enthält und zwar in der Weise, daß durch Abwechslung von fetter und magerer Schrift das Bild unseres Kaisers in auffallender Aehnlichkeit sich ausprägt. Der alte Giftbudiker Visser — was in Berlin Müller oder Schulze heißt, nennt sich auf Norderney Msser oder Kluin — hat eine solche Lithographie mit einem aus den verschiedenartigsten Muscheln zusammengesetzten Lorbeerkranz und Rosetten umgeben an den Kaiser geschickt und ist Anfangs September dafür mit einer Dekoration ausgezeichnet worden. — Auf der nördlich von der Giftbude gelegenen Georgshöhe schweift der Blick über weite Dünenketten und eine sehr lebendige Phantasie könnte an die Berncr Alpen denken; die nicht bewachsenen weißen Sandhügel müßten dann die Gletscher vertreten. Auf jeden Fall kann man von der Georgshöhe aus den Auf- und Untergang der Sonne betrachten, also gerade wie vom Rigi aus. Alpenglühn gab's zwar nicht; dafür hatten wir aber an den Abenden des 3. und 4. September das seltene und schöne Schauspiel eines Mondregenbogens.
Aus der Chronik des sonst einförmigen Badelebens auf Norderney sind für den Monat September drei Ereignisse zu verzeichnen. Das erste bildete der Tag von Sedan. Es ist ein prächtiges Völkchen diese Insulaner. Wie an ihrer brausenden See, so hangen sie an Kaiser und Reich in unwandelbarer Treue, Im reichem Festgewande von preußischen und deutschen Fahnen prangte das Dorf am 2 September, feierliches Geläute rief die Einwohner und Fremden zum Dankgebet in die kleine Dvrfkirche, begeisterte Toaste fei-