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Gänsefüßchen aufmarschiren ließen? Herr Nietzsche wird uns gestatten, anzunehmen, daß seine Gänsefüßchen beim „Deutschen Reich" einfach bedeuten sollen, daß er dieses Ungethüm bis jetzt nicht anerkennt. Er erfreut sich dabei der ihm herzlich gegönnten Genossenschaft der Herren Johann Jacoby, Bebel-Liebknecht und des alten Ewald. Das ist aber bei weitem nicht der einzige Beweis seiner bedeutsamen Abneigung gegen unsern Staat. Schon der Gegensatz des „deutschen Geistes" mit dem „deutschen Reich" — von welchen Begriffen der erstere der bei weitem höhere sein soll, derjenige, , der von dem „Kulturphilister" und „Barbaren", d. h. eben dem „deutschen Reich", brutal mit „Exstirpation" bedroht wird, weiht uns in Nietzsche's unternationale Kultursphäre ein. Dann wendet er sich allerdings zunächst der klassischen Exstirpation des Bekenners und Schriftstellers Strauß zu — aber immer ist das Heftigste, was er gegen ihn und feine Anhänger hervorbringen kann, gemünzt gegen die Errungenschaften der deutschen Nation, die mit soviel Blut und Heldenmuth gewonnen und von der ganzen Welt, mit Ausnahme des Hrn. Nietzsche als solche anerkannt werden.
Wenn Herr Nietzsche in Basel recht verächtlich von Strauß reden will, so wirft er ihm „seine Rückenkrümmungen vor den deutschen Zuständen vor, vor allem aber seinen schamlosen Philister-Optimismus", den Herr Nietzsche „nur aus gewissen früheren Jugendeindrücken, Gewohnheiten und Krankheitsphänomenen erklären" kann. Wir Deutsche nennen diese Jugendthorheiten und Krankheitsphänomene Liebe zum Vaterland und Hingebung an unsern Staat, und erklären mit Freuden Herrn Nietzsche vollständig frei von diesen Verirrungen, da er an einer anderen Stelle seiner Schrift sich „unter dem lebendigen Antheil an der Aufrichtung des deutschen Staates" ja doch nichts zu denken, oder wie er selbst sagt nichts „mehr zu verstehen weiß, als unsere täglichen Besuche im Bierhaus!" Und wenn Herr Nietzsche am Schlüsse seines Pamphlets uns „aller Entrüstung zum Trotz in's Gesicht sagt, daß unsre Kultur verlernt habe, zwischen lebendig und todt, ächt und unächt, original und nachgemacht, Gott und Götze zu unterscheiden" und uns versichert: „daß ihr der gesunde, männliche Instinkt für das Wirkliche und Rechte verloren gegangen sei," so greifen wir uns an die Stirn, wie wenn wir im Narrenhaus wandeln oder die Pro- clamationen des linken Flügels der Fortschrittspartei lesen. Und wir fragen uns: Wann ist Deutschland jemals größer, gesunder, des Namens eines Kulturvolkes würdiger gewesen als heutzutage? Welches Ereigniß ziert die nationale Geschichte in höherem Grade, die Berufung des Herrn Nietzsche als ordentlichen Professors der klassischen Philologie an die Universität Basel, oder die Aufrichtung des deutschen Reiches?