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Ms Iaiern.
Die jüngsten Monate sind in Baiern in der That beinahe ereignißlos vorbeigegangen, man war nicht auf die Fülle eigener Thätigkeit, sondern auf die Rolle des Zuschauens verwiesen. Die stürmischen Verhandlungen im Berliner Landtag, wo man die Kirchengesetze schmiedete, die Debatten des Reichstags und das herkulische Ausstellungswerk in Wien, das waren die Dinge, denen auch in Baiern das meiste Interesse zufiel, und jedenfalls boten sie einen voluminösen Vorwand dar, hinter dem das eigene Stillleben seine Deckung fand. Wir wollen zwar nicht aus der Noth eine Tugend machen, aber etwas Gutes hatte diese stille Saison doch auch, denn sie gewöhnte die Leute unbewußt daran, daß eben Baiern kein „Großstaat" mehr ist, und daß die entscheidenden Fragen doch nur von der Gesammtvertretung. nicht von den Einzelregierungen gelöst werden können. Wie sich das partikularistische Selbstgefühl daran schärfen würde, wenn ein energisches, ereignißvolles Regiment im Lande existirte, so wächst umgekehrt das Gefühl der Zusammengehörigkeit an der Erkenntniß, daß wir in den fundamentalen Beziehungen unserer äußeren und inneren Politik mehr und mehr auf den Beistand des ganzen Reiches verwiesen sind, und daß das baierische Cabinet hierzu weder Kraft noch Muth genug besitzt. Diese Ueberzeugung ist unleugbar im Wachsen begriffen, denn ohne daß sie es will, trägt die Regierung durch ihren Quietismus dazu bei.
Immerhin aber sind doch einige Punkte aus der jüngsten Zeit zu verzeichnen, die ein allgemeineres Interesse in Anspruch nehmen, und die wenigstens beweisen, daß der Pulsschlag des politischen Lebens nicht völlig still steht, wenn er auch ziemlich schwach geworden ist. So konstatiren wir vor Allem und mit Vergnügen ein fortschrittliches Bestreben auf dem Gebiet der Schule. Es ist mehrere Wochen her, der daß neucreirte „Oberste Schulrath" seine ersten eingehenden Berathungen gepflogen hat, und das Resultat derselben zeigte sich denn auch bald in einer Verordnung, die das Aufsichtsrecht des Staates über alle bestehenden Lehranstalten in schärfster Weise zur Geltung bringt. Kein neues Unternehmen dieser Art darf ohne staatliche Bewilligung gegründet werden und jene, die bereits bestehen, werden der eingehendsten Con- trole unterstellt: welche Behörde zur Handhabung dieser staatlichen Rechte berufen ist, hängt von dem geistigen Range der betreffenden Anstalt ab. Diesen Prinzipien folgte man auch praktisch bei der Neubesetzung einzelner wichtiger Lehrstellen (so z. B. am Knabenseminar in Neuburg) und der Ingrimm, womit die klerikalen Organe über solche Reformen herfielen, bietet den besten Maßstab dafür, daß mit denselben wirklich etwas geleistet ist. In diesen Bestrebungen, die Schule einigermaßen aus den Fesseln geistiger Willkürherrschaft