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Kruse´s Moritz von Sachsen.
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Drama anwächst, desto unwahrer wird das Ganze, desto peinlicher die Em­pfindung des Zuschauers, die nur durch eine meisterhaste Darstellung momen­tan beschwichtigt werden kann. War das früher anders, so hat sich Forde­rung und Gefühl der Menschen gewandelt. Immer aber sind die Meister­werke unserer Classiker, Schiller's Maria Stuart, Jungfrau, Tell und vor allem Wallenstein, Goethe's Götz und Egmont auch durch die historische Wahr- heit ihres ganzen Geistes ausgezeichnete Leistungen, an denen selbst der Histo­riker sich erbaut.

Nicht mit Unrecht gelten derartige historische Dramen als wahre Perlen der Dichtkunst. Das historische Fach in der Malerei, im Romane und im Drama pflegt das schwerste, das erste zu heißen. Alles was sonst von dem Künstler verlangt wird, soll vorhanden sein, und noch dazu die historische Auffassung. Manche Entsagung legt freiwillig sich bei dieser Wahl seines Stoffes der Dichter auf: allerdings aus der scharfen Begrenzung auf das ge­gebene Material erwächst ihm andrerseits auch Vortheil und Hülse. Wem es auf diesem Gebiete geglückt ist, etwas Gutes zu schaffen, der hat damit den Anspruch auf die höchsten Ehren erreicht.

Für das historische Drama gilt es zunächst eine Situation oder einen Helden zu wählen, der den heutigen Menschen menschlich interessirt oder der heutigen Denkweise näher zu bringen ist. Die historische Thatsache, die dich­terisch dargestellt werden soll, muß ein psychologisches Problem, einen ethischen Conflict in sich einschließen. Selbst großer Dichterkraft wird es nicht gelin­gen, uns für Dinge oder Menschen zu erwärmen, die innerlich uns fremd oder gleichgültig sind. Den Culturhistoriker mag vielleicht ein Roman oder ein Drama anregen, das ganz fremdartige Stoffe zu reproduciren sucht, das Publikum, das nicht Culturhistoriker ist, fühlt sich dabei gelangweilt. Ich vermeide es, Beispiele anzuführen, Namen zu nennen: sehr oft begegnet uns der Fall. Noch ein anderes mag vielleicht gerade der Historiker aussprechen dürfen. Nicht eine jede Staatsaetion eignet sich zu dichterischer Behandlung. Politische Combinationen, selbst große politische Entwürfe und Tendenzen, die den Historiker in ihrem Banne halten, ihn nicht loslassen und immer wieder an sich heranziehen, sind an und für sich noch nicht dankbare Themata für den Dichter. Das politische und das poetische Interesse schließt sich aller­dings nicht aus, aber es ist doch etwas wesentlich verschiedenes. Dürfen wir sagen, daß Kruse in seinem Wullenwever diesen Unterschied verwischt, diese Dinge verwechselt zu haben scheint? Politisch ist der Lübecker Bürgermeister eine der anziehendsten Erscheinungen der Reformationszeit: im Gedichte läßt sein politisches Pathos uns kalt.

Reicher als irgend eine Zeit der Geschichte an Stoffen für dichterische Arbeit ist die Epoche der Reformation sowohl in als außerhalb Deutschlands'