Beitrag 
Unpolitische Briefe aus Berlin : die Kunstausstellung.
Seite
194
Einzelbild herunterladen
 

1S4

wählt, um den eigenen Trieb bedeutsam gerichtet, aber nicht eingeengt und übermächtig bestimmt zu empfinden.

Daneben hängt ein ganz anderes Bild: das Abendmahl von v. Geb- hardt. Man hat die Ausstellungscommission tadeln wollen, daß sie unmittel­bar neben das glänzende Richter'sche Bild ein Gemälde gebracht, dessen Be­deutung nur in dem Ausdruck der Figuren und in der geistigen Tiefe des dargestellten Vorganges liegt, ohne jeden selbstständigen Reiz der Farbe und Form. Wir wollen indeß uns nicht den Tadlern anschließen und vielmehr die niemals zu allseitiger Zufriedenheit lösbare Aufgabe einer solchen Com­mission bedenken. Das Gebhardt'sche Gemälde, wenn man auch von seinem tagesfreudigen Nachbar herkommt, man wird vor ihm verweilen und bald wissen, daß man das bedeutendste Bild der Ausstellung vor sich hat. Wenn die höchste Aufgabe der Malerei ist aber nicht etwa ihre alleinige merkwürdige Vorgänge des tieferen Geisteslebens zur Anschauung zu brin­gen, so ist hier zur Lösung einer solchen Aufgabe ein sehr eigenthümlicher, aus innigem Glauben an die gesuchte Lösung hervorgegangener Anlauf ge­nommen.

Es ist oft gesagt worden, die religiöse Malerei habe sich in unseren Ta­gen überlebt, die Beschauer brächten nicht mehr den Glauben hinzu, aus welchem die Empfänglichkeit, und die Maler nicht mehr den Glauben, aus welchem die Erfindung stammt. Hier ist nun wieder einmal ein religiöser Gegenstand, die bekannte, von einem größten Meister in einem weltberühmten Bilde dargestellte Scene des Abendmahls. Aber der Versuch ist wohl ange­than, das unvergängliche Recht der religiösen Malerei dem Beschauer einzu­prägen, der Geistiges zu empfinden im Stande ist. Von dem Urheber dieses Bildes wurde kürzlich die Aeußerung berichtet, daß man biblische Gegenstände wieder tiefer erschöpfen könne, wenn man einerseits vom Typischen Abstand nehme, andererseits auch nicht die Erscheinung zu erreichen strebe, wie sie die damalige Wirklichkeit gezeigt haben möge, sondern die Thatsachen wie Tra­ditionen des eigenen Volkes behandeln-, nie habe die christliche Kunst eine dauernde Höhe erreicht, ohne das zu thun. Ein geistreicher, tief begründeter Ausspruch, der noch Tieferes enthält, als der unmittelbar ausgedrückte Sinn besagt. Wenn man nämlich weder die ethnologisch-empirische, noch die katho­lisch-typische Gestaltung anstrebt, sondern die Borgänge wie Traditionen des eigenen Volkes behandeln will, als welche sie doch nicht mythisch und typisch überliefert sind, so muß man den Geist der Vorgänge aus der katholisch­typischen Einkleidung befreien und ihn in seiner historischen, in seiner nicht magischen, sondern sittlichen Wirksamkeit anschauen und ergreifen. Wenn die Malerei dies den biblischen Erzählungen gegenüber vermöchte, so wäre dies erst der Beginn einer protestantisch-religiösen Malerei. Denn bis auf