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aus ihnen eine Art Polizei bildete; doch that dies auf die Länge nicht gut. Spaventa, der ihm in der Polizeiverwaltung Neapels folgte, wollte die Ca- morristen durch die Camorristen vertilgen, indem er einen Theil derselben anstellte, damit er die andern verfolge; doch auch dieses führte zu keinem Ziele. Die Camorristen bestehen bis auf den heutigen Tag.
Der gelehrte Professor Zupetta in Neapel hat eine Abhandlung über das Wort Camorra geschrieben, welches nicht italienischen Ursprungs ist. Er behauptet, es gehöre jenem semitischen Dialekt an, den ein Theil der Bevölkerung Maltas redet. Auch glaubt er daraus nicht mit Unrecht die Folgerung ziehen zu dürfen, daß die Camorra ursprünglich auf Malta entstanden und von da über die Insel Sicilien nach Neapel sich verbreitet habe.
Aus den hohen städtischen Aemtern sind die Mitglieder des großen Gaunerbundes nun verschwunden, aber die ganze niedere Beamtenwelt Neapels bildet jetzt einen grauenvollen Rattenkönig von Gaunern, der recht gut als Erbschaft oder Fortsetzung der Camorra betrachtet werden darf. In Neapel sieht es augenblicklich folgendermaßen aus. An den Halteplätzen der Fiaker befinden sich Subjecte, die von jedem Einsteigenden unter irgend einem Vor- wande Geld erpressen; in allen öffentlichen Speise- und Trinklokalen, in den Schauspielhäusern wimmelt es von Taschendieben, die brillante Geschäfte machen und mit denen Gensdarmen und Polizeidiener gut Freund find. Auf den Plätzen, Märkten, den verkehrsreichsten Straßen sind die Gauner statio- nirt, in den Hotels haben sie Verbindung mit der Dienerschaft und am Hafen mit den Zollbeamten. Jeder dort aufgestellte Facchino gibt sich für einen Staatsbeamten aus, stürzt über die Ankömmlinge her und liefert angeblich das Gepäck in der Dogana ab — zwanzig Procent der Colli aber verschwinden, das ist hergebrachter Stil. Der Fremde ist in Neapel verrathen und verkauft und der Polizist drückt allemal ein Auge zu, denn seine Maxime ist ^Leben und leben lassen". Und er lebt gut. An den Eisenbahnstationen endlich derselbe Schwindel.
Aber nicht allein der Fremde leidet unter diesem großartigen Räuber- unwesen, auch der ehrliche Einheimische. Sobald ein Bauer mit Früchten, ^Gemüsen oder Vieh zum Verkaufe in die Stadt eintritt, ist auch einer jener aufdringlichen Gauner bei ihm, der das Mäklergeschäft besorgt, seinen Clienten vor Uebervortheilung schützt, ihm aber dafür eine gehörige Steuer auserlegt. Wo nur das Volk sich belustigt und z. B. auf Straßen und Plätzen Karten, Würfel oder mit in die Luft geworfenen Münzen spielt, da fehlen diese bekannten Spießgesellen nicht: sie sorgen dafür, daß kein Betrug verübt werde, ziehen aber ihre Steuer ein, die nicht verweigert wird, aus Angst vor Rache der Gauner.
Gegenwärtig, d. h. im September 1872, sind von dem Militärcomman-