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tungen, die nicht selten der Tiefe der Seele entquollen, oft aber die innere Leere und Nüchternheit nur dürftig mit einer farbenprächtigen Rhetorik verhüllten.
Die Folge davon ist, daß ihre Gestaltungen weder durch plastische Abgeschlossenheit die Phantasie befriedigen, noch durch Tiefe des Gehalts, Kraft der Leidenschaft, Wahrheit und Unmittelbarkeit des Gefühls den Geist des Lesers fesseln. Heben wir ein Beispiel hervor. Die Franzosen sind Meister in der genauen, alle Einzelheiten dem Leser vor Augen führenden Beschreibung äußerer Gegenstände, z. B. des Landschaftlichen: ihre Prosa ist daher, was Anschaulichkeit, Klarheit, Durchsichtigkeit betrifft, sowohl in der Erzählung wie in der Schilderung musterhaft, und hat, wo sie, wie z. B. in der Geschichte, durch gewissenhaste Forschung unterstützt wurde, eine Anzahl von Meisterwerken ersten Ranges hervorgebracht. Aber für die dichterische Schilderung reicht diese dem französischen Genius und der französischen Sprache eigenthümliche und durch die Arbeit von Jahrhunderten ausgebildete Begabung nicht aus. Was wir von einem dichterischen Landschaftsbilde vor Allem verlangen, das ist der Reflex des Wahrgenommenen in der Seele des Dichters, Das äußere Bild, in wenigen großen Zügen plastisch hingestellt, soll von dem Hauch der dichterischen Stimmung durchdrungen sein. Die genaueste, glänzendste Detailmalerei vermag uns aber weder ein plastisches Bild zu geben, noch eine Stimmung in uns zu erwecken. Wie aber machen es die französischen Dichter? Sie schildern die Einzelheiten (wie z. B. mit besonderer Kunst Lamartine im Jocelyn) meisterhaft, und durchweben diese Beschreibung mit oft sehr geistreichen, schönen, gefühlvollen Reflexionen. Aber Beschreibung und Betrachtung sind nur mechanisch verbunden. Die Einzelheiten schließen sich weder zu einem plastischen Bilde zusammen, noch wird die Schilderung von dem stimmungsvollen Hauche durchweht, der den Leser befähigt, mit dem Dichter zu empfinden, zugleich aber seine Phantasie herausfordert, reproducirend die Einzelheiten des vom Dichter in großen Umrissen hingeworfenen Bildes zu ergänzen. Man vergleiche die schönste Schilderung Lamartine's mit einem Goethe'schen Naturbilde, einem jener kleinen Lieder, in denen in dem engen Rahmen weniger Zeilen ein weites Naturbild uns vor die Seele tritt, oder etwa mit der den westöstlichen Divan einleitenden Hegire, die in einer Reihe in großen Zügen entworfener Bilder Geschichte, Landschaft, Leben und Poesie des Orients aufrollt, und in der der Dichter uns in Wahrheit „Patriarchenluft" kosten läßt.
Schlimmer noch als das Ueberwiegen der Reflexion, deren nachtheiliger Einfluß auf gewisse Gattungen beschrankt blieb, wirkte auf die Entwickelung der Kunst die Uebertreibung und der eng mit ihr zusammenhängende Cultus des Häßlichen. In dieser Art von Erhebung über die gemeine Wirklichkeit