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Die liberale Partei des sächsischen Landtags.
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immer nur erst von der oder jener Seite einmal herangetreten ist, ohne ganzen vollen Ernst damit zu machen. Nebenbei hat die II. Kammer mehrfache An­läufe zu einer gründlichen Auseinandersetzung des Staates mit der Kirche ge­nommen mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche in dem Biedermann- schen Antrage wegen Prüfung des mit der Synode vereinbartenKirchenge­setzes" über Errichtung eines Landesconsistoriums durch die Kammern; mit der römisch-katholischen in dem Ludwig'schen Antrag wegen der Unterrichts­ertheilung am hiesigen Josephinenstift durchSchwestern vom heiligen Herzen."

Ein Landtag, der so gewichtige, in alle Theile des Staatslebens so tief einschneidende Vorlagen in Angriff genommen und deren Bewältigung so ernst­lich betrieben hat, wie der gegenwärtige, kann unmöglich der Aufmerksamkeit des Volkes so unwerth sein, wie gewisse Blätter ihn hinzustellen sich die wenig beneidenswerthe Mühe geben. Erwägt man dazu noch, daß die meisten und wichtigsten jener Vorlagen eigentlich aus der Initiative der Volkskammer her­vorgegangen und durch die liberale Partei dem Ministerium abgewonnen ich will nicht sagen abgerungen worden sind, so muß das Urtheil über die Bedeutung, die Lebenskraft und die Productivität des Liberalismus in Sachsen denn doch etwas anderes, gerechter und anerkennender ausfallen, als wie es zumeist in jenen Blättern zu lesen ist.

Bekanntlich erschien erst beim vorigen Landtage 1869/70 in Folge des neuen Wahlgesetzes wieder eine wirklich liberale Partei in der sächsischen Volkskammer auf dem öffentlichen Schauplatze. Bis dahin unter dem Regime derreactivirten Stände", also nahezu 20 Jahre lang hatte es nur äi^eeta momdrg, einer solchen gegeben. Freilich erlangte auch diesmal, trotz der Total­erneuerung der Kammer die liberale Partei nur mühsam eine knappe Ma­jorität in ihr, eine so knappe, daß der kleinste Abfall in ihren Reihen sie sofort in die Minorität brachte (wie das gleich bei der Präsidentenwahl, dann bei der Adresse, bei dem Antrage wegen des Verfassungsbruches von 18S0 u. s. w. geschah), denn diese knappe Majorität war wieder in sich in drei ver­schiedene Fractionen gespalten die Nationalliberalen, den Fortschritt, und eine unentschiedene Mittelpartei, welche nur dürftig durch zeitweilige gemeinsame Parteiversammlungen zusammengehalten wurden. Bisweilen klafften aber diese liberalen Elemente auch sehr schroff auseinander und platzten sehr scharf auf­einander, wie bei der unseligenAbrüstungsfrage."

Dennoch gelang es der kleinen liberalen Mehrheit, weniger durch das Gewicht ihrer Stimmen als durch die innere Gewalt der Sache, die sie ver­trat und durch die Energie und Beharrlichkeit einzelner ihrer Wortführer in den altherkömmlichen Schlendrian der Kammerverhandlungen einen frischen Zug und ein rascheres Tempo zu bringen, ja die Regierung zu manchen wich­tigen Concessionen zu bewegen und in mehr fortschrittliche Bahnen zu drän-