Beitrag 
Gährung im Schulwesen.
Seite
424
Einzelbild herunterladen
 

424

sie von der öffentlichen Meinung freudig begrüßt. Im Mittelschulwesen ist aber alles offenbar am reifsten, um von dem neuen Minister mindestens mittelbar einen weittragenden förderlichen Anstoß zu empfangen. Der Erlaß des Herrn von Bethmann-Höllweg aus dem Jahre 185^, welcher der Real­schule erster Ordnung eine halbwegs ebenbürtige Stellung mit den Gymnasien verlieh, reicht in keiner Weise mehr aus. Dem gerechten Anspruch der Real­schule auf Zulassung ihrer reif entlassenen Schüler zur Universität hat Herr von Mühler nur in sehr beschränkter Weise genügt, indem er diese Zulässigkeit für die philosophische Facultät aussprach und studirthabende ehemalige Realschüler im Nothfall als Lehrer an Realschulen annehmen zu wollen erklärte. Von dem Ministerium Falk erwarten die Realschulen ihre endliche volle Gleichberechtigung mit den Gymnasien, die sich allerdings auch in der wohl noch besseren Form anerkennen ließe, daß man die akademische Jnscription überhaupt von Maturi- täts-Zcugnisfen unabhängig machte. Allein das Mittelschulweseu erwartet weit mehr. Es bedarf dringend der Erlösung aus der Uniform, welche man ihm in Preußen und mehr oder weniger in ganz Deutschland von staats- wegen übergeworfen hat. Es muß in viel höherem Grade, als bisher der Fall war, dem Spiel der ihm sich widmenden freien Kräfte, dem Einfluß des die Lehrerwelt und die Zeit erfüllenden Geistes, dem Wetteifer der Systeme und Methoden preisgegeben werden. Der Staat würde im allgemeinen weise thun, sich aus der Rolle des obersten Schulmeisters in dieser Sphäre zurück­zuziehen auf die Wache über diejenigen Anforderungen, welche er in seinem eigenen Interesse zu stellen hat, sei es an die Bedingungen des Einjährig- Freiwilligen-Rechts, sei es an die Ausbildung der öffentlichen Beamten. Im übrigen sollte den Unternehmern von mittleren Lehranstalten, die meistens Communen sein werden, freier Spielraum gelassen werden. Ein Mißbrauch desselben steht hier kaum zu fürchten, wohl aber von seinem Gebrauch die er­freulichsten, belebendsten, auffrischendsten Wirkungen. Dann erst werden wir zuverlässig erfahren, welchen Werth die beiden antiken Sprachen noch für unsere heutige Jugendbildung besitzen, und wird das wahre nationale Be­dürfniß die jetzt rein künstliche Grenze ziehen, welche das Literar-Gymnastum wie die Schweizer sagen von dem Neal-Gymnasium und allen übrigen Mittelschulen für Knaben scheidet.

Die Mädchen haben es im großen und ganzen zu Mittelschulen über­haupt noch nicht gebracht. Die Fortbildungsschule fehlt ihnen; ihr Schul­unterricht pflegt zu Ende zu sein, wenn sie consirmirt worden sind. Allein das Bedürfniß, sie noch einige fernere Jahre lang systematischer Geisteszucht zu unterwerfen, wird in den weitesten Kreisen empfunden, und gibt in Deutsch­land sogar der Frauen-Bewegung ihren wesentlichsten Inhalt. Man dürfte daher wohl wünschen, den Fortbildungsschulzwang, falls er über die Knaben