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zwischen dem Reichskanzler und der ultramontanen Partei, ein Vertuschen der Gegensätze, und vollends ein Zusammengehen mit den Römlingen, auf welches letztere thörichter Weise hofften, entschieden abzuweisen. Gelang es überdies, durch das angedeutete Compromiß den Sick'schen Antrag zur Annahme zu bringen — Oesterlen selbst erklärte denselben für nicht unannehmbar — so war das Auftreten des Herrn v. Mittnacht im Reichstag aufs förmlichste, vom Hof wie von den Ständen desavouirt. Er erkannte daher sofort, daß nun die Zeit gekommen sei, namentlich auch um das durch die Vorgänge der letzten Wochen veranlaßte Mißtrauen in die Regierungsabsichten zu beseitigen, der entschieden Schwenkung der Gesammtregierung auf die nationale Seite durch eine recht eclatante Bethätigung treuer Anhänglichkeit an das Reich eine kräftige Stütze zu geben. Zu diesem Behuf setzte er noch im letzten Augenblick ein königliches Rescript und auf Grund desselben eine feierliche Erklärung der Staatsregierung des Inhalts durch, daß nach deren Ansicht „unter der Zustimmung des berechtigten Bundesstaats die Zustimmung der Bevollmächtigten im Bundesrath zu verstehen sei." Zugleich forderte er in seiner Rede die sogenannten Regierungsmameluken geradezu auf, gegen den Sick'schen Vermittlungsantrag zu stimmen, da derselbe Mißdeutungen ausgesetzt sein würde, welche er dem Hause erspart wissen möchte.
Man denke sich die Verblüffung jener Hof- und Regierungspartei! Es war hart, daß man die allertreuesten Diener des jeweiligen Regimes in solcher Weise dem öffentlichen Spott preis gab: allein sie mochten sich damit trösten, daß ihre Mitwirkung in dieser Rolle wesentlich dazu diente, dem ganzen Lande, ja ganz Deutschland zu zeigen, daß man im vollsten Ernste neue Bahnen wandle. Galt es doch, zum ersten Mal in der neueren constitutionellen Geschichte Württembergs einen formellen Sieg des Ministeriums über die Hofpartei in Scene zu setzen! Nach einem solchen Vorgang muß billiger Weise fernerhin jeder Zweifel an der Gesinnungstüchtigkcit des thatsächlichen Leiters des gegenwärtigen Ministeriums verstummen. Zugleich bot der Vorgang dem Hrn. v. Mittnacht erwünschte Gelegenheit, seine unzweifelhafte politische Überlegenheit über seinen Collegen vom Departement des Innern, welcher durch seine Ungeschicklichkeit in den letzten Wochen manches verdorben hatte, in engerem Kreise ans Licht zu stellen. Dennoch möchten wir die nationale Partei vor zu großer Vertrauensseligkeit über ihren neuesten Sieg warnen. Rechnet man die Unterzeichner des ultramontanen und des Sick'schen Antrags zusammen, so ergeben sich bereits 38 particularistische Stimmen. Verbindet man hiermit die oben eonstatirte fortwährende Vermehrung der katholischen Vertreter, von welchen die beiden letzt gewählten bei der kritischen Abstimmung noch nicht legitimirt waren, und die weitere Thatsache, daß mehrere der entschiedensten Particula- risten, z. B. zwei Mitglieder des Geheimen Raths, noch rechtzeitig von dem