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Herr von Mühler und die theologischen Facultäten.
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Entscheidung eintreten. Für ein paar der hier in Betracht kommenden eon- creten Fälle hat unser Autor dies geleistet: was er S. S9 über Bonn, S. 62 f. über Greifswald, S, 65 über Kiel mittheilt, ist ganz geeignet das Ver­fahren des Ministers als ein tendenziöses, aller wissenschaftlichen Rücksicht­nahme entblößtes zu kennzeichnen. Aber noch eine andere Erwägung drängt sich uns hier aus, die wir nicht unterdrücken wollen. In der akademischen Welt kommen oft Berufungenauf Hoffnung" vor, d. h. Anstellungen eines jüngeren Mannes geschehen in der Erwartung, daß der Angestellte durch spätere wissenschaftliche Leistungen das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertige. Oft schlagen die Facultäten selbst nach diesem Gesichtspunkte vor; auch dem Minister wird das Recht bleiben müssen, in einem einzelnen Falle nach dieser Richtung zu wählen. Und wir fühlen uns durch unsere Wahrheits­liebe genöthigt zu sagen, daß zwei oder drei der Mühlerschen Ernenn­ungen nachher sich bewährt und also den Minister gerechtfertigt haben. Die anderen geben auch wir Preis. Daß in der systematischen Zurücksetzung der Privatdocenten, wie sie in dieser Schrift dargelegt ist, einer der vielen Uebel­stände enthalten fei, ist sicher nicht zu verkennen. Alles in Allem zeigt immer denselben Grundzug, daß auf bekenntnißtreue Strenggläubigkeit, bei der höchstens einige incorrecte Neigung auf die Lutherische Seite nachgegeben wird, alles, und daß auf die wissenschaftliche Fähigkeit des Theologen so gut wie gar nichts mehr ankommt.

Das ist der Punkt, von dem aus einzig und allein eine Besserung und Heilung der Schäden zu erwarten ist. Auf dem neuen Minister ruht eine ganz ungeheuere Verantwortung. Von ihm hängt es ab, ob die theo­logische Wissenschaft in Preußen in der begonnenen Selbstauflösung fortschreiten soll. Die schädliche Einwirkung dieser Zustände auf die Kirche, auf das religiöse Leben unseres Volkes kann dann gar nicht ausbleiben. Noch ist es vielleicht Zeit zur Einkehr und Umkehr. Wir glauben nicht daß unsere Worte dahin mißverstanden werden könnten, als ob wir für eine vorzugsweise Berufung von Theologen der kritischen Schule reden nein, die kirchliche Richtung soll uns gleich gelten. Wir verlangen nichts weiter, als die Auf­hebung des heute bestehenden Privilegiums der oberkirchenräthlichen Richtung. Wir verlangen die nachdrückliche und principielle Betonung des wissenschaftlichen Charakters unserer theologischen Lehrer. Zu Pflanz­stätten einer Wissenschaft, nicht zu Prüfungsanstalten über kirchliche Gesinnung follen unsere theologischen Facultäten gemacht werden. Lutheraner und Kritiker sollen uns ebenso willkommen sein, wie die unionistische Schule, der bisher der Alleinbefitz bewahrt wurde: ausgeschlossen bleibe allein derjenige, der nichts weiter als Frömmigkeit oder Orthodoxie für sich geltend machen kann.

In diesem Augenblicke ist in Kiel eine Vacanz, und für Berlin ist die Neugründung einer Professur in Aussicht genommen. Die hierfür erfolgenden Ernennungen werden über den Charakter der neuen Verwaltung uns zu orientiren im Stande sein. Gerade bei der geschilderten Sachlage ruht ganz allein auf dem Minister, weder auf den Facultäten, noch auf den über­nommenen Rathgebern, die Verantwortung.

Verantwortlicher Redacteur: Dr. HanS Blum. Verlag von F. L. Hervig. Druck von Hiithcl» Lcgler in Leipzig.