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Staatsministers an Delbrück ist keineswegs eine bloße Formalität gewesen. Indessen auch in jener peinlichen Situation, wo ihm zugemuthet war, die Kastanien des Herrn v. d. Heydt aus dem parlamentarischen Feuer zu holen, hat er seine Würde und Ehrlichkeit vollkommen behauptet. Wer Delbrück damals zum Parlament reden hörte, dem mußte er erscheinen wie ein anderer Mann. Sonst immer war seine Rede von hervorragender Klarheit, Gediegenheit und Schärfe, schmucklos und schlicht und doch im höchsten Grade wirkungsvoll. Wenn der kaum mittelgroße Mann sich vom Sitze der Bundesräthe erhebt, und mit halblauter Stimme sein „Meine Herren!" beginnt, dann ist das nächste Wort schon in den entferntesten Winkeln des Saales hörbar. Aber damals, als er die Steuerrazzia des Herrn v. d. Heydt inclusive der Petroleumsteuer, und eine Tarifreform zu vertheidigen hatte, welche den Idealen seines ganzen Lebens und Wirkens zuwiderlief, damals hüstelte er viel, stockte manchmal, suchte die schwächeren Stellen seiner Rede durch witzige Einfälle zu decken, sprach anscheinend im wesentlichen zu seiner Dose, die ihm die Hände auch sonst während seiner Reden zu beschäftigen pflegt, und zeigte sich gegen die Angriffe aus dem „Hause" reizbarer als sonst. So wenig war er der Verstellung fähig.
Er erholte sich damals wie auch sonst jeden Spätnachmittag, nachdem das parlamentarische Menü vorüber war, in Gesellschaft eines Abgeordneten, mit dem er seit Jahren und Jahrzehnten als Freund und Strebensgenosse am vertrautesten war, ein Stündchen an den Freuden der Tafel in einer der guten Weinstuben der Behren- oder Jägerstraße. Wenn die beiden älteren Junggesellen hier > beieinander saßen, der Wein im Glase perlte, ein trefflicher Einfall den andern jagte, und die würdevolle Grandezza verscheuchte, welche beide Herren, vornehmlich aber Delbrück ziert, und sie zu lauter Heiterkeit hinriß, La hätte man nicht glauben mögen, eben sei wieder ein Act in dem heißen Kampf um die Petroleum- oder Börsensteuer abgespielt worden. Aber in diesem Freunde Delbrücks steckte freilich auch etwas von einem Minister, eine seltene politische und staatsmännische Erfahrung, in ihm wohnten die größten fruchtbringendsten Gedanken und Plane neben einer wahrhaft naiv-freudigen und heitern Lebensanschauung. Und dieser Abgeordnete . hatte eigentlich ebensowenig Grund, über den täglich sichreren Niedergang des Ministers v. d. Heydt verstimmt zu sein, als sein Freund Delbrück, der damals ohne Erfolg vor Reichstag und Zollparlament auf mildernde Umstände für seinen Clienten v. d. Heydt plädirte. Denn dieser langjährige Tischgenoß Delbrücks war kein geringerer, als Otto Camphausen; seit 1854 Präsident der Seehandlung, seit 1867 nebenbei Abgeordneter für Neuß, und einige Monate nach dem Fall der letzten Steuerplane v. d. Heydts dessen Nachfolger im preußischen Finanzministerium. Wie fruchtbar und segensreich seither die