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brauchbar, aber sie war in der ungeheuren Mehrzahl nvch nicht geschlagen, sie war erhitzt und hatte Grund genug, in einem Kampf sich einzusetzen. Daß ihnen der Sieg geblieben wäre, darf ein Deutscher bezweifeln, aber ein Erfolg und vielleicht ein zweiter lagen gar nicht außer der Möglichkeit. Es ist bezeichnend, daß dieselbe Partei, welche dem Marschall Bazaine so wilde Verwünschungen nachschleuderte, weil er mit einem geschlagenen und ent- muthigten Heer vor Metz keinen Ausdruck gewagt hatte, selbst vor derselben Aufgabe muthlos stillsteht. Jetzt ist die Zeit verpaßt, seitdem schließen zwei andere Armeen, im Norden Manteuffel, im Süden Prinz Friedrich Karl die Hauptstadt durch neue militärische Linien von Frankreich ab. Sogar der Vorstoß der Loirearmee und das Treffen bei Coulmiers vermochten den Entschluß zu einem großen Unternehmen den Parisern nicht zu geben. Und doch war damals der letzte Moment, um noch einen Erfolg zu erringen.
Jenes Rückzugsgefecht v. d. Tann's hat viel Staub aufgerührt, bei den Franzosen wie bei uns. Das bayrische Corps stand entfernt von der Hauptarmee, in exponirter Stellung, die durch das Terrain und die Lage des Belagerungsheers nothwendig geworden war. Wenn v. d. Tann, wie wir aus dem Bericht eines talentvollen zugeordneten Offiziers vom Generalstab der III. Armee, des Hauptmann Karnatz, wissen, auf Unterstützung nicht rechnen konnte und die Ueberlegenheit des Gegners wohl kannte, so handelte er jedenfalls als ein kühner Soldat, daß er ihm doch entgegenging, um seinen Rückzug zu sichern. Er hielt mit 12,000 Mann gegen das Gros einer Armee von 60,000 Mann sieben Stunden Stand, verlor dabei ca. 650 Mann und erreichte es dadurch, unbelästigt seinen Rückmarsch auszuführen. Dieser verhältnißmäßig geringe Verlust in einem Rückzugsgefecht, das von 10 Uhr bis S Uhr dauerte, beweist sowohl die guten Dispositionen des bayrischen Generals, als daß der Angriff der Franzosen nicht mit höchster Kraft erfolgte.
Es sieht allerdings so aus, als ob der Kampf in Frankreich durch Ermattung des Gegners zu Ende gehen sollte. Aber Krieg ist wie ein Waldbrand auf dürrer Haide; so lange er nicht bis auf den letzten Funken getilgt ist, mag er plötzlich wieder heftig auflodern, wo man es am wenigsten erwartet.
Unterdeß sind die beflissenen Vermittelungsversuche der Neutralen zu merkwürdig günstiger Stunde durch das Aufrühren der orientalischen Frage gedämpft worden. Gern gibt man sich der Hoffnung hin, daß die brüske Lossagung Rußlands von den demüthigenden Bestimmungen der Verträge, welche das schwarze Meer Kriegsschiffen verbieten, keinen anderen Krieg, als den diplomatischer Noten zur nächsten Folge haben werde. Dennoch darf man sich gegen die folgenschwere Bedeutung dieses ersten Schrittes nicht verblenden. Er ist gegen den Bestand der europäischen Türkei gethan und er wird offenbar von der Türkei selbst, wie von England und Oestreich so verstanden. Wir dürfen jetzt hoffen, daß der deutsche Staat fertig wird, bevor im Orient die Krisis eintritt. Und wir könnten ruhig dort die Geschicke sich vollenden sehen: die Türken durch die Russen verdrängt, und Rußland durch die neue Stellung am Bosporus auf dem Gipfel seiner Macht, in neuen Gegensätzen zu Europa und in der Gefahr, durch die Menge der disparaten Elemente, welche es umschließt, zerrissen zu werden. Aber dort im Osten stehen zwei alte Häuser zusammen, neben der Türkei Oestreich, und wie für dieses neue Stützen gefunden werden sollen, wenn durch die Slaven das osmantsche Reich niedergelegt wird, das vermögen wir nicht zu sehen.
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Verantwortlicher Redacteur: Alfred Dolie. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthcl <d Lcgler in Leipzig..