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Der Krieg und die deutschen Gelehrten.
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Der Krieg und die deutschen Gelehrten.

1. Krieg und Friede. Zwei Briefe an Ernst Renan, nebst dessen Antwort auf den ersten, von David Friedrich Strauß. Leipzig, S. Hirzel. 1870.

2. Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich. Eine historische Skizze von Rudolf Usinger. Berlin, E. S. Mittler u, S. 1870. 3. Spe- eialkarte von Elsaß und Lothringen nach ihrer gegenwärtigen Eintheilung seit der deutschen Besitzergreifung. Redig. von H. Kiepert. Historische Karte von Elsaß und Lothringen zur Uebersicht der territorialen Verände­rungen im 17. und 18. Jahrhundert. Nach den Originalquellen bearbeitet von Richard Böckh u. Heinrich Kiepert. Beide bei Dietrich Reimer, Berlin 1870.

Die Kunst hat sich immer gern auf Gelegenheiten eingelassen, die dich­tende, so gut wie die bildende. Viele haben es beklagt, aber nichts daran ändern können, Göthe hat für die Lyrik geradezu Gelegenheitsanlaß gefordert. Wenn man die Liedermassen betrachtet, die der gegenwärtige Krieg hervor­gerufen, sollte man meinen, unsere heutigen Lyriker hätten den Alten so ver­standen, als müsse nicht nur jedes Gedicht seine Gelegenheit, vielmehr jede Gelegenheit ihr Gedicht oder besser gleich ihr Dutzend Gedichte haben. Um etwas Abwechslung wenigstens fürs Auge in dasSchwertgeklirr" dieser Lieder zu bringen, hat man davon in einer großen Sammlungzu Schutz und Trutz" (Franz Lipperheide, Berlin 1870. 2. Auslage) etwa die Hälfte in autographischem Facsimile wiedergegeben. Das Unternehmen, aus dessen Retnertrage schon 2000 Thlr. für die Verwundeten abgeführt sind, müssen wir um dieses seines segensreichen Zweckes willen loben, wie denn auch daraus unter vielen planetarischen Gedichten mit reflectirtem Glänze hie und da ein selbstleuchtender Stern uns anstrahlt; der Gedanke aber, uns die handschrift­lichen Züge der Müller von der Werra, von Königswinter und anderer Herren von geographischem Autorenadel in lichtbildlicher Treue vorzuführen, macht das Werk doch gar zu weitschichtig. Zu einer Statistik des deutschen Schreib­unterrichts in den einzelnen Landschaften ist es wieder zu wenig und fehlt es andrerseits auch an Daten über den Zeitpunkt, wann die merkwürdige Kunst des Schönschreibens von den Einzelnen erlernt worden. Doch gern lassen wir diese freiwillige Kriegslyrik und die ganze Vaterlandskunst des'Moments bei Seite; nach fünfzig Jahren erst wird man darüber vollgültig urtheilen können.

Die Wissenschaft nun liebt die Gelegenheiten nicht, sie steht ihnen spröde, wenn sie Gelehrsamkeit ist. sogar meist blöde gegenüber. Jnsbesonde war von unseren deutschen Gelehrten in früheren Jahrzehnten die Vorstellung im Schwange, als sei ihr Reich niemals von dieser Welt, als riefen sie der rauhen Wirklichkeit des öffentlichen Lebens nur abwehrend zu, wie Archimedes dem stürmenden Soldaten, doch ja ihre Gedankenkreise nicht zu zertreten. Man erzählt von einem unserer großen Forscher, die Bewegung des Jahres 1848 sei ihm besonders deshalb widerwärtig gekommen, weil sie sein eben geschrie­benes Buch aller Theilnahme beraubte, die er dafür verhofft und verdient hatte. Ein anderer, der dem Staatsleben keineswegs fremd war, ließ sich doch durch die Ereignisse von 66 alle Lust verleiden, sein kühnes zeitgeschicht­liches Werk fortzusetzen, weil die eisenbeschlagenen Sohlen des Schicksals seine mühsam construirten Zirkel unerbittlich weggewandelt hatten. Die Schuld an dieser häßlichen Erscheinung 'trug die drückende Klosterluft der dumpfen Jahre, in denen diese sonst wackeren Männer groß geworden waren; hernach