„Vor Paris nichts Neues."
Leipzig, d. 19. Oct. 1870. ?<ZÄ.oo do to I'rauos, ik ^raucc! W psaog xsrmit
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„Das Weltall blickt auf euch!" Mit dieser Lästerung wider die koper- nicanische Weltordnung trieb Napoleon seine Heere gegen uns in den Kampf. Nicht das Weltall, wohl aber die civilisirte Menschheit blickt nun beklommener von Tage zu Tage auf die Stadt ohne Gleichen, die so lange mit dem Glänze ihrer Sünden die Augen der Völker geblendet hat. Wir Deutschen wissen wohl, warum wir das Ende des grauenvollen Strafgerichts herbeisehnen, zu dessen Vollstreckung wir uns nicht herangedrängt haben. Die anderen Nationen werden ungeduldig, wie der müßige Pöbel, der sich um das fürchterliche Schauspiel einer Hinrichtung zusammengerottet. Enttäuscht läßt mancher Zeitungsleser draußen, der sich beim Frühstück durch die Kunde von dem Riesenbombardement der Riesenstadt wohlthätig hatte erschüttern wollen, das Blatt sinken, wenn ihm wieder und wieder der Draht lakonisch meldet: „Vor Paris nichts Neues." Geduld, ihr Herren! wir haben euch mit wunderbaren Neuigkeiten allzusehr verwöhnt.
Vor Paris nichts Neues, aber Altes, Uraltes! möchte man ausrufen. In die Dämmerfrühe der Geschichte fühlt man sich zurückversetzt, in die Welt des ewig kindischen und ewig greisenhaften Orients, wo jene ungethümen Hauptstädte emporwuchsen, welche das Mark der Reiche aufsogen, bis zum Bersten gefüllt mit prächtigem Elend, die Despotenpaläste bedeckt mit dem einförmigen Zierrath der Siegesnamen und Triumphbilder, ringsumher unermeßliche Mauern und Thürme, die dem staunenden Fremdling als unüberwindlich gerühmt wurden. Das Volk drinnen lebte in Hoffahrt und Sinnlichkeit dahin; was sittlichen Nationen ein Greuel dünkte, galt ihnen für Gottesdienst; in ihren Tempeln beteten sie in Wahrheit nur sich selber an, den Geist ihrer Stadt. Der erschien ihnen zugleich als die Seele der Welt; für anderer Menschen Gedanken hatten sie kein Verständniß, aber vielleicht ein mitleidiges Lächeln. Bis dann einmal der Tag erschien, wo ein Cyrus oder Alexander heranzog mit frischer Volkskrast, mit Männern von Geist und Sitte! Da hauchte doch am Ende die Welt diese ihre Seele aus, die dann überwanderte in einen andern Steinhaufen, um dort weiter hinzubrüten, zu gleichem Loose. In der anmuthigen Legende vom Propheten Jona wird Ninive noch einmal errettet, weil es dcn Herrn jammert „solcher großen Stadt, in welcher sind mehr denn hundert und zwanzig tausend Menschen, die nicht wissen Unterschied, was rechts oder links ist, dazu auch viele Thiere". Grenzboten IV. 167«. 16