Beitrag 
Das zweite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichtsschreibung : VI. Mexico : von La Soledad bis zu Maximilian's Ankunft in Veracruz.
Seite
482
Einzelbild herunterladen
 

48Ä

die Souveränetät der mexikanischen Negierung zu achten. Die Beschuldigung, daß gegen Franzosen Vexationen vorgekommen seien, sei unwahr; wäre sie begründet, warum hätten denn die Commissare nicht rechtzeitig Beschwerde erhoben?

Daß die französischen Commissare es ablehnten, sich auf dieseunwür­digen Gegsnbeschuldigun gen" einzulassen, war weise, denn es ließ sich Nichts gegen Doblado's Anklage einwenden.

Das bisherige Verfuhren der Franzosen war im höchsten Grade unloyal und zweizüngig; man hatte sich indessen bemüht, den offenen Wortbruch zu vermeiden. Völlig gelungen war dies allerdings nicht; eine Kündigung des Vertrages von La Soledad vor den in demselben stipulirten Conferenzen war ein Bruch der übernommenen Verpflichtung. Indessen hatte man sich hier doch mit einem Schein von Recht auf die neue Jnstruction aus Paris be­rufen können. Was aber jetzt erfolgte, war der unverhüllte Wortbruch, um so schmachvoller, da er die Ehre der französischen Fahne besudelte, um so verhängnißvoller, da er die Abneigung der Mexikaner gegen dieCivilisatoren" zur höchsten Erbitterung steigerte.

Die französische Armee, statt hinter Chiguihuita zurückzugehen und dann erst ihren Vormarsch zu beginnen, machte Kehrt, ehe sie die angewiesene Linie erreicht hatte, und marschirte sofort auf Orizaba. Den Vorwand bot das Gerücht, daß die Sicherheit der in Orizaba befindlichen französischen Kranken durch die Juaristen bedroht sei. Auf die ausdrückliche Erklärung des General Zaragoza, daß die Kranken unter dem Schutze des mexikani­schen Heeres sich befänden, erwiederte Jurien Nichts, als daß er auf Befehl des Kaisers das Commando an Lorencez abgegeben habe.

Keratry in seinem wichtigen Werkel'Lmxeröur N^ximilien, soll 616- vation et eduts, I^ixsjZ 1867" sucht das Verfahren der Franzosen nicht zu rechtfertigen, aber doch zu beschönigen. Aus Besorgniß, daß die franzö­sischen Kranken ermordet werden möchten, habe der französische Commandant mit Bedauern (woher weiß Graf Keratry das?) sein Wort verletzt und den Marsch gegen Orizaba angetreten, bevor er über die Position von Chi­guihuita zurückgegangen.

Indessen auf Keratry's Urtheil in Allem, was die französische Armee betrifft, ist nicht sehr viel zu geben. Er beurtheilt zwar die kaiserliche Poli­tik mit großer Schärfe, aber er verfolgt zugleich die Tendenz, die französi­schen Truppen und ihre Befehlshaber gegen die ihnen gemachten Vorwürfe zu vertheidigen. Und so sucht er auch hier den Wvrtbruch zu entschuldigen; aber er weiß als Entschuldigungsgrund eben Nichts weiter anzuführen, als ein bloßes Gerücht. Dies Gerücht, von dessen Entstehung wir nirgends etwas erfahren, das nur in französischen offiziellen Schriftstücken figurirt,