Si>4
Oestreich und der Ärieg.
Ein Krieg zwischen Preußen und Frankreich — der Gedanke konnte in Oestreich so wenig etwas überraschendes haben, als anderswo. Waren doch seit 1866 grade dort die Chancen, welche einen Conflict am Rhein herbeiführen und diejenigen, welche sich aus demselben für Oestreich ergeben könnten, immer aufs neue und wenn auch selten gründlich, doch sehr umständlich erörtert worden. Aber daß der Krieg eben jetzt zum Ausbruch kommen werde, daß Frankreich jeden beliebigen Vorwand benutzen wolle, das mußten, wenn überhaupt Jemand, gewiß nur einige wenige Personen in Wien. Daß wirklich diese Wenigen unterrichtet waren, hat viel Wahrscheinlichkeit. Zur Zeit des luxemburger Streites war das Bemühen der östreichischen Diplomatie vom ersten Augenblicke an darauf gerichtet zu vertragen, was bei Personen, welche an die Unvermeidlichkeit des Zusammenstoßes glaubten, nichts anderes bedeuten konnte, als: vertagen. Und an die Unvermeidlichkeit glaubt die östreichische Diplomatie natürlich gern. Sie sagt und läßt sagen: jene beiden Mächte mußten sich einmal wieder messen, früher konnte der Friede in Deutschland nicht auf die Dauer hergestellt werden. Es ist nicht unsere Sache jetzt, die Stichhaltigkeit -dieses Satzes zu untersuchen. Die ihn hinausgaben, wußten sicher so gut wie wir, daß die Völker an- beiden Ufern des Rheins keinen Grund hatten, einander die Köpfe blutig zu schlagen, ihre Fluren zu verwüsten, ihren Wohlstand zu verpuffen; daß Deutschland nichts wollte, als Herr sein im eigenen Hause und daß es der systematischen Aufhetzung bedürfte, um in den Franzosen die nationale Eifersucht und die längst vergessenen Rachegefühle für Waterloo wieder zu erwecken. Die Staatsweisen am Ballplatze in Wien werden nicht vergessen haben, wie schnell der Rheinlärm vor dreißig Jahren sich beschwichtigen ließ und wie der Haß gegen das „perfide Albion" dem Gefühle guter Nachbarschaft wich, sobald die Regierung diesen letzten Ton angeschlagen hatte. Als man in Wien jenes Schlagwort ausspielte, mußte man wissen, daß in Paris der Krieg ernstlich gemeint werde. Das östreichische Programm war auch fertig, ehe noch Benedetti in Ems abgewiesen worden war; es ist dasselbe, welches seitdem immer wieder in den verschiedensten Einkleidungen aufgetischt wird, gestern als osficiöse Mittheilung an Provinzblätter, heute als Beschwichtigungsmittel für heißblütige Preußenfeinde, morgen als guter Rath an den Reichskanzler. Es lautet: Oestreich schaut in voller Gemüthsruhe zu, wie seine Feinde von gestern und vorgestern sich gegenseitig schwächen, es wartet seinen Moment ab. Dieser muß kommen, gleichviel, ob Frankreich von Preußen, ob Preußen von Frankreich niedergeworfen wird, oder ob das gewaltige Ringen beider ohne Entscheidung bleiben solle. In