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Ein Brief an die Redaktion.
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meinem Namen ist nichts gelegen, ich gehöre nicht zu Ihrer Zunft und habe als Scribent keinen Ehrgeiz. Da ich aber als Geschäftsmann das Beste kenne, was die Franzosen besitzen, ihre Rothweine, so traue ich mir auch über ihre schlechten Eigenschaften, wozu ich ihren Kaiserhof rechne, ein Urtheil abzugeben. Ich habe an mehreren Orten Kunden und Agenten, ich er­fahre nicht viel, jedoch Manches, und damit müssen Sie in diesen Tagen, wo die meisten Correspondenten gar nichts wissen, zufrieden sein.

Auch ich war in Berlin, grade in den Tagen, in welchen um König Wilhelm eine Anzahl fürstlicher Herren versammelt war. Der Deutsche hat vor anderen Nationen den Vorzug, daß er die fürstliche Species des Men­schengeschlechts nicht von fremden Völkern zu erbitten braucht, wenn er sie einmal nöthig haben sollte, denn er besitzt einen unbegrenzten Reichthum daran. Diesmal waren mehrere von den besten versammelt; es wurden von den Berlinern auch die bemerkt, welche nicht da waren. Besonders gefreut haben sich meine Kundschafter über den Kronprinzen von Sachsen. Alte Geschichten hatte er ganz hinter sich geworfen, in seiner gradsinnigen und ver­ständigen Weise war er mit ganzem Herzen bei der Sache. Da war auch der Schweriner, den sie als Soldaten rühmen, der Großherzog von Olden­burg, einer von den bravsten und zuverlässigsten, dann unser Coburger, der nirgend fehlt, wo es etwas Patriotisches gibt, dann ein Nassauer, der sich die preußische Uniform begehrte und Andere mehr. Wir gönnen es diesen Herren, wenn sie nach einigen schweren Jahren, die ihnen allerlei unge­wohnte Zumuthungen stellten, beweisen können, daß sie in den Tagen der Gefahr dem Vaterlande nicht fehlen.

Ich sah darauf die Stadt, überall Begeisterung und fliegende Buch­händler, obgleich die Zeitungen grade wenig Neues brachten. Handel und Geschäft natürlich miserabel. Das ist für unzählige Leute ein großes Un­glück, und für die Kleinen das größte, im Ganzen aber ist es für das große Geschäft ein Glück und Segen. Ich strich um die Börse und sah als Patriot ohne Bedauern, wie sie auf der Nase lagen. Es war grade die höchste Zeit, daß den Berliner Speculanten ein solches Memento kam, es war nützlich, daß der Hof. die Beamten und die Geschäftswelt daran erinnert wurden, welcher Unterschied zwischen einem kaiserlichen Schwindler und zwischen einem redlichen König ist. und welcher Unterschied zwischen gaunerischen Börsen­spekulationen und solidem Verdienst. Denn viele Berliner, vornehm und gering, waren grade sehr in der Gefahr, große Gaunereien zu bewundern und wohl gar mitzumachen.

Ich besah mir das Militärische. Ich will nicht behaupten, daß ich den General v. Moltke gesehen habe; er lebt wie immer stillvergnügt bei der

Grenzboten III. 1870. 2L