Beitrag 
Berliner Briefe. I.
Seite
196
Einzelbild herunterladen
 

19«

ihr denn aus, was die Thronrede würdevoll verschwiegen, unser Recht auf diese alten und deutschen Retchslande; haben sie unsere Vorfahren mit Recht verloren, so denk' ich, haben wir doch ein Recht, sie wiederzugewinnen, wenn man sie uns in die Hände zwingt!" Daß solche Worte hier bereite Ohren finden, können Sie denken; auch im übrigen Deutschland wird's seiner Zeit an Wiederhall nicht fehlen.

Die Geschäftsleute find' ich noch am meisten niedergedrückt, doch nicht unmännlich verzagt. Bei ihnen mischt sich natürlich die allgemein mensch­liche Betrachtung vielfach mit der nationalen.Ein trauriges Zeugniß für unsere gerühmte Cultur", hört man sie sagen,daß Kriege zwischen solchen Nationen möglich sind, daß Fürsten Macht haben, solche Kriege willkürlich zu entzünden!" Doch wissen sie auch gut genug, welche Nation und welchen Fürsten die Schuld trifft; auch sie erheben sich zu dem Standpunkte, von dem aus unsere zu Blut und Tod gerüsteten Soldaten, so furchtbar paradox es klingen mag. als liebliche Boten erscheinen, die den Frieden verkündigen.

Wie sollt' ich aber von Berlin reden, ohne des wohlthätigen Gemein­sinns zu gedenken! Alles regt und rührt sich, die Lazarethe werden einge- richtet, die Reste von 66, Tausende von Laken, von unseren Damen verpackt und nach dem Rhein gesandt; alles zupft Charpie. Ganz besonders aber wird man sich diesmal der Familien der Landwehrleute annehmen. Fast möchte man sagen, es seien der Vereine, der Annahmestellen zu viele; in der That verschmelzen sich schon einige Comite's. Wie es nicht anders sein kann, setzen sich auch Eitelkeit und andringliche Geschäftigkeit in Bewegung; die Aufgabe ist, auch solche menschliche Schwächen zum Wohle des Ganzen ar­beiten zu lassen. Die Anschlagssäulen sind mit Aufrufen bedeckt; manches, was wunderlich klingt, hat doch seinen Sinn, wie die Aufforderung an die Raucher, täglich eine Cigarre für die Erholungsstunden der Kämpfer zurück­zulegen.

Von einem Wiederaufleben des Teutschthums im Stile des alten Iahn ist glücklicherweise nicht die Rede; die Petition um Abschaffung des französi­schen Maßes und Gewichts stand vereinzelt. Ebenso wenig Erfolg wird Fanny Lewald's Ermahnung an unsere Frauen haben, den anstößigen Pariser Moden zu entsagen. Prangen doch noch auf den Zetteln unserer kleinen Theater und Vergnügungslocale die königlichen Theater haben Ferien, einige andere sind eingegangen Offenbachiaden und Cancans, mit denen uns doch gleichfalls Pariser beschenkt haben. Ich meine auch, sittliche Reformen, die ich mit Freuden begrüßen würde, müssen doch aus rein sitt­lichen Principien ihren Ursprung nehmen; ein blos nationaler Standpunkt darin ist mir nicht ganz verständlich. So wird man uns auch hoffentlich die französische Küche und nach Goethe's gutem Spruch auch die französi­schen Weine nicht verbieten wollen.

Und so schließ' ich meinen Brief an die friedlichen Grenzboten mit dem Wunsche, daß über acht Tage schon ernste aber glückliche Kunde von den kriegerischen Grenzboten am Rheine uns alle erfreue, und daß der menschen­freundlichen Thätigkeit, die sich hier unterm Zeichen des rothen Kreuzes im weißen Felde so großartig rüstet, recht wenig Arbeit erwachse! Aber wer kann sich der traurigen Aussicht erwehren, daß leider, leider bitterlich schwere Opfer über unser Volk verhängt werden sollen!

a./D.

Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verlag von F. L. Hervig. Druck von Hüthel » Segler in Leipzig.