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wurden, kreuzten sich die Wege der Einzelnen auflas Wunderbarste. Da gab es kein Entrinnen und Verschweigen. Da entstanden die seltsamsten Hoffnungen auf gemeinsames Wirken. An's Staatsgefüge durste Niemand die Hand legen, aber auf rein geistigem Wege ließen sich Staaten höherer Art mit geistiger Organisation herstellen. Was die Freimaurerei auf moralischem Gebiet bewirkt hatte, das wollten die Romantiker auf ästhetischem erreichen. Schleiermacher allein vielleicht ist es dann gelungen, aus dieser Schule in ein rein- praktisches Wirken hinüberzutreten, das zu harmonischem Abschluß führte. Ihm deshalb, weil die Menschenkenntniß, deren er später bedürfte, auf keinem anderen Wege so reich zu gewinnen gewesen wäre.
Was hiermit zur Anzeige des Dilthey'schen Buches gesagt worden ist. kann nicht als ein eigentlicher Reflex dessen gelten wollen, was es enthält. Dilthey macht die Entwickelung der Schleiermacher'schen Philosophie, die er von ihren anfänglichen Elementen an verfolgt, zur Mitte seiner Untersuchungen. Ihm auf dies Gebiet zu folgen, ist die Sache derer, die gleiche Studien treiben, und diese Anmerkungen gelten nur dem historischen Theile feines Buches. Dilthey war seiner ganzen Anlage nach zum Biographen Schleiermacher's wie prädestinirt. Deshalb würde es vielleicht keinem Anderen gelungen sein, wie ihm, aus dem ihm vorliegenden übermächtigen Materials mit glücklicher Hand nur das nothwendigste zu wählen. Dies nun hat er in seine Arbeit so gut hineinzufügen gewußt, daß nirgends die gleichsam anders zugehauenen Steine Schleiermacher's aus dem Mauerwerke der eignen Sätze Dilthey's fremd hervorstehen.
Es kam bei seiner Arbeit auf noch einen Punkt besonders an, mit dessen Erwähnung diese Notiz schließen soll. Wir sind jetzt auf das aus, was das Charakteristische genannt zu werden pflegt. Wir glauben heute die Menschen und Dinge besser zu sehn und deutlicher uns einzuprägen, wenn wir sie unter absichtlich scharfer Beleuchtung, sodaß Licht und Schatten grell aneinander stoßen, vor uns haben, während diejenigen Charaktere am verständlichste» zu sein scheinen, welche von Anfang an von bestimmter Stelle aus die Dinge ansehn und diesen Standpunkt festhalten. Also ein Kopf, wie Rembrandt ihn malt, scheint uns wahrer, als wie ein griechischer Bildhauer ihn in Marmor dargestellt hätte, und eine Figur aus einem Romane von Dickens lebendiger, als eine der Gestalten, die die Wahlverwandtschaften Goethe's etwa enthalten, oder die in den Dialogen Plato's mitreden.
So könnte auch Manchem heute, der Schleiermacher's Briefe gelesen Und seine Wirksamkeit verfolgt hat, der edle Geist des Mannes, die umfassende Güte seines Wesens, die Allgemeinheit seiner Anschauungen, die Gleichmäßigkett seiner fließenden, an griechischem Satzbau geschulten Sprache^zu wenig