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Neue Werke der deutschen Localgeschichte.
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des früheren Lebens zu erspähen suchen, in denen der Lebende am liebsten sich und seine Tüchtigkeit erkennt.

Zuerst sah der Deutsche in der Vergangenheit nur die Schlachten und die Schwertschläge seiner Helden, allmälig suchte er den verständigen Zusam­menhang der auffälligen Ereignisse; seit er dem fürstlichen Status diente, wurde ihm die Geschichte zu einer großen Staatsaction der Politiker in Har­nisch und Alongenperücke; seit ihn die Schönseligkeit erreicht hatte, dasNatür­liche" im englischen Landschaftsgarten und die Freude am Originellen, begann er sich etwas um die Literaturgeschichte seines Volkes zu kümmern, las ver­wundert aus den Nibelungen, und fand die Sprüche, Beispiele und Fabeln des Mittelalters merkwürdig. Dann kam die größte innere Wandlung der Deutschen, zur Zeit Jmm. Kant's, der französischen Revolution und der Be­kanntschaft mit Shakespeare das fast plötzliche, einem Wunder gleiche Er­wachen eines neuen historischen Sinnes: Verständniß für das Charakte­ristische fremden Volksthums, eine erhebende und beglückende Ahnung von der innern Gesetzlichkeit im Verlauf jedes nationalen Lebens. Seitdem suchte Man die Lieder und Poesien aller Völker. Sagen, Rcchtsbräuche, Sprachge­setze und Schrift. Eine von der frühern radical verschiedene Methode, Ge­schichte zu schreiben, begann. Wolf streicht den alten blinden Vater Homer aus dem Titel der Jlias und Odyssee und Niebuhr verfaßt eine römische Ge­schichte, worin er Romulus und Remus mit ihrer Wölfin, die länger als 2000 Jahre jedem Schulknaben eingebläut worden waren, mit einem souve­ränen Federstrich gänzlich aus der Weltgeschichte entfernt. Und wäh­rend die gesteigerte Kenntniß fremden Volkslebens einen unermeßlichen Strom von neuen Anschauungen und Genüssen, von Combinationen und hohen Ideen in unsere Seelen leitete, arbeiteten die Naturwissenschaften, die uner­müdlichen Regulatoren unseres Denkens, um uns die Sinne zu schärfen, die Methode der Beobachtungen zu verbessern. Wir lernten anders sehen, das Bedürfniß nach historischer Wahrheit wurde ein weit feineres. Eine neue großartige Kritik und Sammlung aller alten Schriftdenkmäler begann, ^- wir sind noch mitten darin. Und seitdem hat jedes Jahrzehnt unserer Geschichtswissenschaft zu den vorhandenen neue Aufgaben gebracht. Unermeßlich Vieles aus alter Vergangenheit und fremden Welttheilen wurde neu entdeckt und rastlos Deutung des Unverständlichen gewagt. Und wieder die schnelle Entfaltung des modernen Verkehrslebens brachte zugleich mit den neuen Problemen für unsere Politiker auch sür unsere Historikers neues Verständniß. Seit der französischen Revolution wurde die Staatsverfassung von Rom und Griechenland wichtig, seit den Eisenbahnen und den Dampfschiffen Untersuch»», gen über Handel, Verkehr und Produetion alter Zeit, seit dem Ausblühen unserer Städte und der Kräftigung des Bürgerthums umfangreiche Forschungen