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Helbig, W.:Die campanischen Wandbilder und die Malerei des Hellenismus.
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geschwächt, aber keineswegs ganz vernichtet. Die Geschichte der itali­schen Kunst hat es vorwiegend mit der Untersuchung zu thun, wie sich in den einzelnen Perioden das Verhältniß des griechischen Einflusses zu den nationalen Kunstelementen gestaltet. Von der Lebenskraft der nationalen Richtung in der Kaiserzeit zeugen die auf Kriegsthaten und Staatsactionen bezüglichen Sculpturen, mit denen Triumphbögen und andere öffentliche Monumente geschmückt wurden. Läßt sich auch hier in der Anordnung und in der Behandlung mannigfacher Motive der Einfluß der hellenistischen Kunst nicht verkennen, so ist die Charakteristik jedenfalls von dem Leben der Epoche, in welchem jene Monumente entstanden, durchdrungen und national im höchsten Sinne des Worts. Es wäre wunderbar gewesen, wenn die campa­nischen Wandmaler, weß Stammes sie auch sein mochten, nicht unter Um­ständen von dieser realistischen Richtung berührt worden wären; vielmehr konnte es nicht ausbleiben, daß hier und da der Idealismus der Original- compositionen durch Einführung realistischer Motive getrübt wurde. Diese Erscheinung tritt namentlich in der Bildung der Köpfe hervor, die öfter ein eigenthümlich individuelles Gepräge haben, welches offenbar dem Einflüsse der den Wandmaler umgebenden Wirklichkeit zuzuschreiben ist.

So sind auf einem pompeianischen Rundbilde die Köpfe des Hippolytos und der Phaidra so individuell gebildet, daß man sie beinah für Portraits halten könnte. Dasselbe gilt von dem Kopfe des Perseus auf mehreren Bil­dern, welche den Helden darstellen, wie er die Andromeda eine Spiegelung des Medusenhauptes in einem Gewässer betrachten läßt. In dieses Bereich wird auch die merkwürdige Darstellung des Daidalos gehören, welcher auf einem Bilde, wo er der Pasiphae die von ihm gefertigte Kuh zeigt, bartlos, mit vollständig kahlem Haupte und eigenthümlich scharf geschnittenen Zügen auftritt, die an die Portraits des älteren Seipio erinnern; möglich, daß der Wandmaler die Züge etwa eines kunsterfahrenen Pompeianers in dem mytho­logischen Prototyp aller Kunstfertigkeit verewigte; jedenfalls dürfen wir schwerlich hoffen, jemals im Stande zu sein, für jene Darstellungsweise, die auf vollständig individuellen Motiven beruht, eine sichere Erklärung zu finden. Die Composition, welche Danae mit dem Perseusknaben auf Seriphos dar­stellt, kehrt in drei Repliken wieder und läßt sich mit hinreichender Sicherheit auf Artemon, einen Meister der Diadochenperiode, zurückführen. Auf zwei Bildern dieses Gegenstandes ist Perseus in idealer Nacktheit dargestellt, wie wir den Knaben aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Original zu gewärtigen haben. Wenn er auf einer Replik als Wickelkind gebildet ist ganz in der ungestalten Weise wie die Italiener noch heut zu Tage ihre Bambini einzuschnüren pflegen, so wird auch diese Darstellungsweise als ein