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Helbig, W.:Die campanischen Wandbilder und die Malerei des Hellenismus.
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welches vielfach denselben Gedanken behandelt, ihn jedoch mannigfach nuancirt und in verschiedener Weise zuspitzt. Auch für die Erscheinung, daß künstlerische Motive von der hellenistischen Epoche abwärts in ununterbrochener Tradition reprodueirt wurden, finden wir in der Dichtkunst die entsprechenden Belege. Mannigfache Züge, die sich bereits bei hellenistischen Dichtern finden, lassen sich mehr oder minder abgewandelt bis in die späte Kaiserzeit verfolgen. So ist die Schilderung der von dem Stier durch das Meer getragenen Europa, wie sie sich bei Moschos findet, dauernd mustergiltig geblieben. Gewisse Züge derselben kehren bei den angeführten Dichtern, namentlich bei Ovid, wieder und finden sich, vielfach ausgeschmückt, schließlich bei Nonnos. Uebrigens ist die improvisirende Thätigkeit der campanischen Wandmaler gewiß nicht zu gering anzuschlagen; ohne dieselbe wäre die Frische und Ursprünglichkeit, welche uns in der Regel in diesen Bildern entgegentreten, vollständig unerklärlich.

Da die Wandmaler so wenig an eine genaue Wiedergabe ihrer Originale gebunden waren, so ist es begreiflich, daß sich vielfach der Geist ihrer Zeit und der Einfluß ihrer Umgebung geltend machten und den Charakter ihrer Gestalten bedingten. Auch die letzte productive Entwickelung der griechischen Malerei, die der hellenistischen Epoche, an welche die eampanische Wandmalerei anknüpft, verfolgte eine mehr oder minder entschiedene ideale Richtung. Mochten die Typen der Götter und Heroen im Vergleich mit der früheren Kunst an Großartigkeit eingebüßt haben, so erhoben sie sich immerhin durch anmuthige Schönheit über das Niveau der Wirklichkeit. Selbst auf dem Gebiete des Genres hielt sich das Interesse für die Einzelerscheinung auf einer gewissen Höhe; dies geht in gleicher Weise aus den schriftstellerischen Nachrichten her­vor, wie aus den erhaltenen Bildern, die ich als hellenistisches Genre einer besonderen Classe zugewiesen habe. Wir begegnen hier beinahe durchweg anmuthigen und schönen Erscheinungen, deren Bildungsgesetze denen ver­wandter mythologischer Gestalten entsprechen. Höchstens machte sich, wie in gewissen Schulen der hellenistischen Sculptur, eine Richtung auf das Charakteristische geltend, die in der campanischen Wandmalerei durch einige Bilder vertreten ist, welche Scenen aus dem Leben von Theater- und Ton­künstlern schildern. Hier galt es, aus den Eigenthümlichkeiten, welche einzelnen Individuen einer bestimmten Classe in der Wirklichkeit zukamen, Typen zu gestalten, die in allgemein giltiger Weise die ganze Classe vertraten eine Art künstlerischen Schaffens, welche immerhin von einem die Wirklichkeit schlechthin copirenden Realismus beträchtlich verschieden ist. Im Gegensatze zu dem Idealismus griechischer Kunst hatte der Geist der italischen Stämme von Haus aus eine realistische Richtung. Während die griechische Kunst Anfangs in schwächerer, später in nachhaltigerer Weise ihren Einfluß auf italischen Boden erstreckte, wurde die Kraft des italischen Elementes zwar