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weitverbreitete Presse hilfreich zur Seite hat und bei den Deutschen aller Provinzen Wiederhall findet. Man hat von dem alten Wien behauptet, daß es alle Geister verweichliche und im Wohlleben verderbe; ebenso kann man dem neuen Wien nachsagen, daß ein dauerndes Leben darin unwillkürlich die Neigung wecke, den Grundsätzen politischer Centralisation zu huldigen. Die gewaltige Stadt läßt das eigenartige Wesen der Provinzen übersehen und verdeckt die nationalen Besonderheiten. Das Gewohnheitsrecht der Wiener, die entscheidende politische Stimme zu führen, ist seit dem gewaltigen Wachsthum der Stadt und bei dem volltönenden Wirken der Presse, sür sie all- mälig zu einer Forderung der praktischen Vernunft geworden.
So ist also die gegenwärtige Lage der Dinge die, daß die lebenskräftigsten Glieder des Reiches, auch äußerlich die größere Hälfte desselben, sür den Bundesstaat verloren gehn, daß in dem übrigen Reste des Reiches der politische Gemeinsinn sich vermindert hat, daß die Lust sich abzusondern und nicht die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer Einigung jetzt der Föderativverfassung die meisten Anhänger zuführt, daß in gleichem Maße, in welchem die nationalen Parteien der einzelnen Provinzen das politische Leben von dem Centrum ableiten wollen, dieses an Gewicht und namentlich an Selbstbewußtsein zunimmt und in stolzem Trotze beharrt.
Es erscheint kaum denkbar, daß die westliche Hälfte Oestreichs in einen Bundesstaat verwandelt werde, außer auf dem Wege der Gewalt, nachdem eine vollständige innere Umwälzung stattgefunden, eine Revolution vorher die Bahn frei gemacht hat. Besiegt man den Antagonismus der verschiedenen Nationalitäten nicht, dessen rasches Wachsen in den letzten zwanzig Jahren keinem aufmerksamen Beobachter entgehen konnte, versteht man sich nicht auf die Kunst, die einzelnen nationalen Parteien in sich zu entzweien, dann zu zerbröckeln und so unschädlich zu machen, so bleibt schwerlich eine andere Wahl als: Entweder waltet in Wien und in einigen anderen deutschen Städten frei das Gesetz und über die slavischen Provinzen wird der Belagerungszustand verhängt; oder umgekehrt: die Wünsche der letzteren werden erfüllt und Wien mit Gewalt zum stummen Gehorsam gezwungen. Eine dauernde, allseitig befriedigende Verfassung ist, seitdem Ungarn seine eigenen Wege geht, für die andere Hälfte Oestreichs nicht leichter, sondern unendlich schwieriger geworden. Diese Hälfte ist nicht klein genug, um unter eine uniforme Regierung, unter ein festgefügtes Centralisationssystem gebracht zu werden, und nicht mehr groß genug, um einen lebenskräftigen, auf dem Gleichgewicht der verschiedenen Nationalitäten beruhenden Bundesstaat zu bilden. Am wenigsten wird man dazu auf dem Wege gelangen, welchen einzuschlagen, wie es scheint, die Regierung die größte Neigung hegt. Man wird das Ziel nicht erreichen, wenn man sich mit vereinzelten Provinzen in einen Handel einläßt,