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kann, wenn sie jede Organisation verderben und verwirren und den allgemeinen Störenfried spielen, so gebührt der Dank dafür dem Ministerium Bach-Thun. So lange dieses als Handlanger der militärisch-polizeilichen und clericalen Reaction die Verwaltung Oestreichs führte, so lange währte auch der Zersetzungsproeeß, an welchem der Staat noch gegenwärtig leidet, dessen Folgen er kaum jemals ganz verwinden wird. Das Concordat flößte begreiflichen Widerwillen gegen die Schulen ein und legte die bessere Bildung lahm; der Absolutismus duldete kein politisches Wirken und öffnete den elementaren nationalen Leidenschaften wieder freien Spielraum. Die Verstandes- rohheit und sittliche Barbarei machte in dem Jahrzehnt, das von Kapolna bis Solferino verfloß, die traurigsten Fortschritte, unter den kleinen Stämmen und dort, wo kein unmittelbarer Zusammenhang mit den Culturvölkern Europas bestand, natürlich die größten. Und wenn auch seit 1860 der Bann, der auf die Bildung gelegt war, gelöst ist, so wurde doch durch Schmerling und Belcredi die politische Sittlichkeit nicht gehoben. Wir sehen überall die nationale Leidenschaft am Werke, den blinden Fanatismus in Thätigkeit; ein literarisches Proletariat, voll Bitterkeit und Grimm leitet die öffentliche Meinung; eine geheime Agitation, die auf die rohe Gewalt ihre Hoffnungen setzt und kein Mittel verschmäht, ist an die Stelle der offenen politischen Debatte getreten. Welche Welt des bittersten Hasses ist das alte, durch seine naive Gutmüthigkeit berühmte Oestreich geworden. Man höre die lautesten Sprecher der Deutsch-Ocstreicher: da sind zunächst die Norddeutschen ein Haufen „Zugvieh", welches Bismarck's Peitsche leckt, die Franzosen eine Nation feiler Sclaven, unter welchen allein Rochefort als freier Mann hervorragt, die Russen ein erbärmliches Barbarenvolk, welches sobald als möglich aus Europa vertrieben werden muß. Nicht besser lautet das Urtheil über die Stämme, welche mit den Deutsch-Oestreichern dasselbe Reich bewohnen. Mit schlecht verhehltem Neide wird die günstigere Stellung der Ungarn betrachtet, mit dem geschärften Auge des Hasses Alles hervorgehoben, was die geringere Bildung der Magyaren andeutet, höhnisch jedes Hinderniß der Entwickelung an das Tageslicht gezogen. Man sollte meinen, die Herrschaft des Dualismus befriedige die Deutschen in Oestreich. Sie rühmen sich, die Rechte der Ungarn in trüben Jahren gegen die Regierung wannhaft vertreten zu haben und verdanken der dualistischen Reichsverfassung allein die privilegirte Stellung, die sie diesseits der Leitha im Kreise der übrigen Stämme einnehmen. Sie sind hier das Regierungsvolk, wie die Magyaren in Ungarn. Trotzdem geht kein Tag und kein Anlaß vorbei, daß nicht das Verhältniß zu Ungarn als ein unerträglicher Druck beklagt, nicht der Dualismus angegriffen würde. Vor mir liegt ein „Katechismus der Verfassung Oestreichs". Wackere Leute, der deutsche Verein in Leitmeritz, haben ihn herausgegeben, und zum Volks-