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Reisebilder aus Galizien : 1. An der Grenze
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Jüngeren Ursprungs und ein Produkt bewußter politischer und natio­naler Bestrebungen ist die zweite von Menschenhänden aufgeführte Höhe, welche auf die Thürme der alten Piastenstadt herabsieht: der Kosziusko-Hügel, fast 300 Fuß hoch und unter begeisterter Theilnahme von Polen aus aller Herren Länder dem Gedächtniß des nationalen Helden durch den Krakauer Senat im Jahre 1824 errichtet, sechs Jahre nachdem die sterblichen Ueber­reste des großen Patrioten auf Wunsch Alexanders I. aus ihrer Solothurner Grabstätte in die Krakauer Nationalkathedrale übergeführt und dort feierlich beigesetzt worden waren. Auch dieser Berg hat eine religiöse Weihe, denn an seinem Fuß liegen Kapelle und Einfiedelei der heiligen Bronislawa, ge­hütet von einem Eremiten, der die Gaben gerührter Patrioten und frommer Pilger einsammelt.

Der gefällige Nachbar, der die Namen der beiden Hügel genannt, hatte zu eingehenderem Bericht über Entstehung und Bedeutung derselben nicht Zeit gehabt, wenige Minuten, nach dem dieselben an uns vorübergezogen, hielt der Zug vor dem Krakauer Bahnhof, einem langen schmutzigen Ge­bäude, von dem AuschwitzerVs-ux-KM" nur durch größere Proportionen unterschieden. Mühsam drängt man sich durch eine schlecht beleuchtete Ein­gangshalle, welche von Juden, an weißen Pelzen kenntlichen krakusischen Bauern und nationalgekleideten Ulanen bis an den Rand gefüllt ist, in den Speisesaal, einen langgestreckten, unbehaglichen Raum, dessen schmierige Ausstattung durch Cigarrettenqualm verhüllt ist. Merkwürdig! In dem aristokratischen Polenlande, wo die Kluft zwischen der herrschenden und der dienenden Kaste ungleich breiter und tiefer ist, als bei uns, machen die öffent­lichen Localitäten einen sehr viel plebejerern Eindruck als in den demokrati- sirten Ländern des Westens. Frauen, die nach der letzten Pariser Mode ge­kleidet sind, drängen sich heiteren Muthes und kräftigen Armes durch Mäntel und Pelze,bedeckt von jedes Bodens Unterschied", zwischen Lemberg und Zator, und nehmen an einer Tafel Platz, deren Insassen ihre Aufmerksamkeit zwischen Schnaps, Zwiebeln und unaussprechlich schlechten Cigarren theilen der perlende Champagner, der aus dem Pokal des duftenden Cavallerie-Osficiers überfließt, verbindet sich harmlos mit den Branntweintropfen, welche dem Bart des benachbarten Ebräers entträufeln und Alles das versteht sich gleichsam von selbst. Von Behagen kann in diesen Räumen nicht die Rede sein, trotz Hunger und Durst greift man nach den Effecten, die der schnurrbärtige Dienstmann mit gleichgiltiger Miene auf den jeder Beschreibung spottenden Fußboden geschleudert hat ein neuer Kampf, mit der Mannschaft, welche die Thürme zwecklos belagert und man hat das Freie gewonnen, um auf einem jüdischen Fuhrmannskarren durch das mit sieben Thürmchen geschmückte Floriansthor (den letzten Ueberrest der mittelalterlichen Befestigung) in die Stadt ünd deren sog. besten Gasthof zu gelangen. Es geht eine steile, von der Oellampe des Portiers sparsam beleuchtete Treppe hinauf, dann über eine endlos lange offene Gallerie, auf welche sämmtlicheNummern" des Stock­werks münden, in eine kalte, finstere Stube. Während der Ofen geheizt wird, sucht eine in polnischer Sprache abgefaßte Polizeivorschrist, welche hin­ter Glas und Nahmen an der schmutzigen Tapete hängt, den müden Gast zu unterhalten eine halbe Stunde später ist er zum ersten Mal aus polnischer Erde eingeschlafen.

Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius ESardt. Perlon von F. L. Herbig. Druck von Hüthel L Segler in Leipzig,