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Reisebilder aus Galizien : 1. An der Grenze
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jenseit der San von den alt-polnischen Territorien abgetrennt würde und die letzteren Krakau zur Hauptstadt erhielten. Bezeichnend genug sind Tracht und Mundart der krakusischen Bauern anders geartet, wie bei den übrigen polnischen Bewohnern Galiziens und bilden die Grafen und Herren, welche hier Hausen, eine besondere politische Gruppe, die an den Kämpfen um Auf­rechterhaltung der Herrschaft über die Nuthenen nur bedingungsweise Theil nimmt und durch ihren klerikalen Eifer ebenso bekannt ist, wie durch ihre nahen Beziehungen zu der czechischen Aristokratie. In dem ehemaligen Kleinpoten hat man ein stärkeres Bewußtsein von der Einheit der galtzischen Interessen und weiß man Nichts von dem Localbewußtsein der Krakusen. Die masu- rischen Bauern, deren Sitze westlich vom 42" mit denen der Ruthenen unter­mischt sind, reden ein anderes Idiom als ihre westlichen Nachbarn, die Herren und Priester, die unter ihnen Hausen, haben bereits eine deutliche Vorstellung von der russischen Gefahr, welche dem Osten des Landes droht, dem sie seit beinahe hundert Jahren angehören. Haben sie doch erlebt, daß sich in dem rein polnischen Tarnower Kreise vor drei und zwanzig Jahren der Masure gegen ihre Herrschaft erhob und dem längst rebellischen ruthenischen Nachbarn die Hand bot zu gemeinsamer Vernichtung der Bedrücker. Und wo russische und masurische Bauern untermischt leben, kommt es noch heute vor, daß der Landmann der Kirche seines Herrn und dem Pater, der der liebste Gast des stolzen Herrenhauses ist, den Nucken kehrt und sich von dem unirten Popen, dem verhaßten Repräsentanten russischer Einflüsse, in die Kirche führen läßt, die trotz ihrer Vereinigung mit Rom jeden guten Katholiken eine schismatische heißt! Wohl kann das Land westlich vom San sich rühmen, rein-polnischen Wojewodschaften angehört zu haben und den Prätensionen kleinrussischer Alterthümler keinerlei Handhabe zu bieten, aber es fehlt ihm doch das Sicher­heitsbewußtsein der severischen Landschaft. Der masurische und chrobatische Bauer hat, auch wenn er guter Pole und Katholik geblieben ist, etwas von dem bauernfreundlichen Zaaren jenseit desCordons" (der Grenze) gehört der die ehemaligen Knechte des Pan nicht nur freigab, sondern zugleich mit Feld, Wiese und Wald ausstattete und wenn er sich auch vor dem schisma­tischen Seelenhirten seiner ruthenischen Nachbarn mit frommer Schau kreuzigt, so muß er demselben doch eine bauernfreundlichere, democratischere Haltung nachrühmen, als demKsends", der auch unter dem PriestergewandePan" geblieben ist und sich als Gentlemcmn suhlt.

Der Gedanke, diese wunderlichen Verhältnisse und die noch complicirteren Zustände Ostgaliziens von Angesicht kennen zu lernen, war lockend genug, den Reisenden auch auf der nächtlichen Fahrt von Oszwienczym noch Krakau wach zu erhalten. Freilich ließ sich der nebelverhüllten Landschaft, aufweiche der Mond nur hie und da ein flüchtiges Streiflicht warf, nicht ansehen, wie bewegt ihre Vergangenheit gewesen war. und die Phantasie mußte nachhelfen, wenn man sich die böhmischen Heersäulen denken wollte, welche auf diesem Wege 1093 nach Krakau gezogen waren, die Mongolenschaaren, die in der entgegengesetzten Richtung nach Schlesien vorgerückt waren, ihre Spuren mit zerstörten und verbrannten Städten und Dörfern und blutigen Leichenthürmen bezeichnend, oder die Schweden, die 16SS und 1702 die alt-polnische Haupt­stadt, von Westen kommend, erstürmt hatten. Bei Zabierzow. der letzten Eisenbahnstation, wird bereits die Hügelkette sichtbar, welche die Krakauer Ebene umkränzt, hier hat der Conducteur mit einemxro^m?aus" die Billets abgefordert und es sind nur an 20 Minuten bis zur alten Haupt­stadt der königlichen Republik. Der Zug rollt über die stattlichen Bogen, welche die Weichsel, kurz vor ihrer Vereinigung mit der Rudowa überbrücken,