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keime in und zu neuen Systembildungen, eine Aufgabe, die offenbar nur ein jüngerer Philosoph lösen kann. Von diesem Gesichtspunkt aus begrüßen wir das Erscheinen eines Werks, welches diese Aufgabe in Angriff nimmt; wir begrüßen es um so freudiger, da es als kecker, kühner Wurf in die philosophische Stagnation unserer Zeit hineinfällt, ein neues fruchtbares Problem in die philosophische Betrachtung hineinzieht, und wenn nicht eine befriedigende Lösung desselben, so doch vielversprechende Anfänge zu einer solchen bringt. Welches die Tragweite der neuen philosophischen Weltanschauung sein wird, muß die Zukunft lehren; darum wollen wir nicht hier und nicht schon jetzt in eine erschöpfende Besprechung derselben eintreten, sondern den Leser nur im Allgemeinen über dieselbe zu orientiren versuchen, indem wir den Inhalt des oben bezeichneten Werkes in seinen Hauptpunkten darlegen und daran einige der Sache selbst entnommene kritische Bemerkungen knüpfen.
Die „Philosophie des Unbewußten" beginnt mit den Worten Kant's: „Vorstellungen zu haben und sich ihrer doch nicht bewußt zu sein, darin scheint ein Widerspruch zu liegen, denn wie können wir wissen, daß wir sie haben, wenn wir uns ihrer nicht bewußt sind. — Allein wir können uns doch mittelbar bewußt sein, eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns ihrer nicht bewußt sind." (Anthropologie §. 5.) Diesen Gedanken Kant's belegt und erweitert der Verfasser durch eine reiche Sammlung von Thatsachen, aus denen er sodann in inductiver Methode die eigenen metaphysischen Resultate zieht. Das Buch zerfällt nach einer Einleitung, welche die 'Aufgabe, die Methode, die Vorgänger bespricht und viertens den Zweckbegriff rechtfertigt (S. 1—35), in drei Abschnitte: die Erscheinung des Unbewußten in der Leiblichkeit (S. 39—153), L, das Unbewußte im Geiste (S. 157—315). L. Metaphysik des Unbewußten (S. 319—678). In den ersten beiden Abschnitten sind aus der Menschen-. Thier- und Pflanzenwelt die Thatsachen zusammengetragen, in denen die Macht des Unbewußten, d. h. unbewußter Wille und unbewußte Vorstellung nach des Verfassers Ansicht sich wirksam zeigt. Wille und Vorstellung nämlich sind die constituirenden Theile des Unbewußten. Nicht ist, wie bei Schopenhauer, die Vorstellung — Hirnproduct, also ein Subjektives, und der Wille allein ein Objectives, Metaphysisches, sondern Wille und Vorstellung gehören bei Hartmann zu einander wie die Pole des Magnets, nur der Wille ist, der etwas will, und das Etwas oder den Inhalt liefert dem Willen die Vorstellung. Unter den Thatsachen, welche im Abschnitt ^. zusammengestellt sind, spielen Jnstinct. Hellsehen, Naturheilkraft und eine weite Fassung des Begriffs Re- flexbewegung eine entscheidende Rolle; wir müssen die erneuerte Prüfung derselben den Naturwissenschaftern überlassen, vor deren Forum der Verfasser Grcnjvotcn I. 1S70. 8