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Friedrich Schlegel und die Xcnien.
An R. Haym von
Michael Bernays. (Schluß zu Nr. 50.)
Gewiß wird man dem Xeniendichter das Zugeständniß machen, daß er die Proben aus dem Bereiche neuester Kritik für seine Zwecke trefflich auszuwählen verstanden. Schiller. Herder und Goethe hatten durch ihre Beiträge dem Musen-Almanach reichen Schmuck und köstlichen Gehalt verliehen — und die junge Kritik, zwischen Bewunderung und Tadel schwankend, von der Sucht nach Paradoxen verführt, erging sich bei der Würdigung dessen, was diese Männer geleistet, in solchen unzulänglichen, launenhaften Aeußerungen, die sich gegenseitig selbst aufzuheben schienen! Und ferner — was hier den eigentlichen Ausschlag gab — Schiller, Herder und Goethe konnten mit Recht auch in ihren eigenen Augen als die Führer des Zeitalters gelten; jene jungen Geister aber, die über das Zeitalter schon keck hinauszustreben sich vermaßen, gaben durch solche Urtheile den vollgiltigen Beweis, daß sie unfähig waren, diesen Führern sicheren Schrittes nachzugehen, geschweige siezn überholen; sie gaben durch solche Urtheile wider sich selbst das unzweideutige Zeugniß ab, daß sie, weit entfernt, über den gegenwärtigen Standpunkt der künstlerischen und literarischen Bildung sich erheben zu können, vielmehr das Größte, Edelste und Beste, was diese Gegenwart aus ihrem fruchtbaren Schoße geboren, noch nicht sicher erfaßt, noch nicht zu ihrem vollen Eigenthum gemacht hatten. Wir sehen nun, — eben die Proben hatte Schiller herausgegriffen, die von dem ganzen Verfahren und Bestreben dieser jugendlich Vordringenden einen entschieden ungünstigen Begriff erwecken mußten.
Und wir sehen nun auch, wie diese gegen Friedrich Schlegel gerichtete Xenienreihe, deren Zusammenhang auf eine so unerklärliche Weise zerrissen schien, sich zu einem ununterbrochenen Ganzen schicklich aneinander fügt. Zur Einleitung dient ein allgemein gehaltener Spruch über den verschiedenartigen Betrieb des literarischen Handwerks (301)*). Dann wird Schlegel selbst in den Kreis vorgefordert, um seine Bemerkungen über Schiller, Herder und
") Da« Xenion 300 („Seht, wie artig der Frosch nicht hüpft"), als dessen Verfasser Goethe angenommen wird, kann sich zwar auf tausend und aber tausend Recensionen beziehen, wie sie zu allen Zeiten geschrieben worden sind und geschrieben werden, — auf jene nach landläufiger Manier zugestutzten Kritiken, in denen Lob und Tadel so ungeschickt zusammengestellt sind, daß sie einander aufreiben müssen. Der Plaj;, der dem Epigramm hier ertheilt ist, läßt indeß vermuthen, daß dieser allgemein giltige Spruch insbesondere eben auf Schlegel's Beurtheilung des Musen-Almanachs zielen soll, die ja auch der hier gegebenen Charakteristik der herkömmlichen Reccnsentenweise in so vorzüglichem Grade entspricht.