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Die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses.
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Es war unter solchen Umständen höchst begreiflich, daß die ersten Verhand­lungen über die Kreisordnung wesentlich von der Stellung beeinflußt waren, welche die Demokratie und die Mittelparteien zu der Regierung überhaupt einnehmen. Wenn man sich auch nicht principiell gegen jede Annahme der vom Minister des Innern eingebrachten Vorlage entschieden hatte, so mußte man sich doch sagen, daß bei der zweifellosen Verwerfung der Vorlagen, auf welche die Thronrede das höchste Gewicht gelegt hatte, die amendirte Annahme eines Gesetzes nicht im Stande sein werde, die Lage zu ver­bessern. Und daß die Rücksicht auf den allgemeinen Charakter der inneren preußischen Politik bei der Behandlung jeder einzelnen Bill erheblich mit­spricht, bestätigt jeder neue Tag daß diese Rücksicht mitsprechen muß. ist die erste und nächste Folge der noch immer prekären Umstände des preu­ßischen Verfassnngslebens. der Hauptgrund dafür, daß jede Debatte, mag sie sich auch um die einfachsten technischen Fragen drehen, den Charakter eines Principienstreits annimmt.

Noch vor dem Schluß der General-Debatte über die Kreisordnung, grade in dem Augenblick, wo die Verstimmung über die traurigen Aspekten der Session diese zu verdüstern und ein engeres Verhältniß der National­liberalen zur Fortschrittspartei zu prognosticiren schien, trat Herr v. d. Heydt zurück, um dem bisherigen Präsidenten der Seehandlung Platz zu machen. Noch bevor Herr Otto Camphausen dem Hause sein Programm vorgelegt hatte, wußte man, daß der Schwerpunkt der Session aus den Vor­lagen des Grafen Eulenburg in die Finanzangelegenheiten verlegt sei. Die Deckung des Deficits wurde wiederum zu einer Frage, was sie, so lange es sich um die Heydt'schen Pläne gehandelt hatte, nicht'gewesen war und gleich die erste Rede, mit welcher der' Finanzminister vor das Haus trat, machte nach allen Seiten den besten Eindruck; selbst die Fortschrittspartei zeigte sich durch die Verheißung, daß eine Deckung ohne Steuerzuschlag in Aus­sicht genommen sei, freudig überrascht, zumal Herr Camphausen wiederholt betonte, daß die Dauer seiner Amtsführung von dem Vertrauen der Volks­vertretung bestimmt sein werde.

Seit der detaillirteren Auseinandersetzung des Camphausen'schen Finanz­planes hat die Situation sich wiederum verändert. Schon die ersten An­deutungen über die Wege, welche der neue Finanzminister zu gehen gedenkt, sind von der Demokratie mit der Erklärung beantwortet worden, daß sie ihm auf dieselbe nicht zu folgen im Stande sein werde. Mit einer Schlag­fertigkeit, die stark nach systematischer Opposition schmeckt, haben die Führer der Fortschrittspartei schon gegenwärtig sagen zu können geglaubt, daß die Consolidisation der 4- und 4V^procentigen Staatsschuld und die Beseitigung der jährlichen Amortisationspflicht nicht sowohl den Interessen des Staates und seiner Finanzen, als denen des Herrn Kriegsministers entsprechen werde, der seine Hand sofort auf die disponibel gewordenen Fonds legen und in den Stand gesetzt sein werde, noch ungenirter als bisher weiter zu wirth­schaften. Die Antwort, in welcher Herr Camphausen auf die Nothwendigkeit hinwies, seinen Plan erst näherer Bekanntschaft und sodann der Kritik z» unterwerfen, ist in der That die einzige, die den Herren gegeben werden konnte. Die Rede des Abg. Löwe, unseres Erachtens die bedeutendste, welche am zweiten Tage gehalten worden, stand zu dem Camphausen'schen Plane nur scheinbar in directer Beziehung, im Wesentlichen hatte sie es nur mit einer Kritik der früheren Verwaltung zu thun; die dieser nachge­wiesene Unzuverlässigkeit rechtfertigt wohl das'Verlangen nach einer genaueren Controle der Volksvertretung, hat mit der Sache selbst aber Nichts zu