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Otto Jahn : Gedächtnißrede, gehalten im archäologischen Auditorium der Bonner Universität am 25. October 1869.
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die Augen traten, andere fügen, welche theilweise weniger bekannt den Grund seines Wesens aufschließen helfen.

Wem es vergönnt war, Iahn in seinem Heiligthum, in seinem Bücher­saale öfter zu begrüßen, der lernte bald zwei Eigenschaften kennen, welche nicht allein seiner berühmten Bibliothek ein besonderes Gepräge verliehen, sondern auch auf seine geistige Richtung, auf seine Aufgaben und Ziele ein deutliches Licht warfen. Iahn duldete kein ungebundenes, kein defectes Buch in seiner Nähe, keine Lücke in den Fächern, für welche er den literarischen Apparat sammelte. Die äußerste Sauberkeit, die größte Vollständigkeit der Bibliothek strebte er beinahe leidenschaftlich an. Aber die Vollständigkeit hatte doch andererseits fest bestimmte Grenzen. Derselbe Mann, welcher Jahrelang irgend einer verborgenen, an sich vielleicht unbedeutenden Gelegenheitsschrtft nachspürte, nicht Mühen, nicht Kosten dabei scheute und sich herzlich freuen konnte, wenn er endlich in den Besitz des langersehnten Schatzes kam, war gegen alle Bücher, welche seinen Studienkreis nicht berührten, vollkommen gletchgiltig. Selbst kostbare Werke, ausgedehnte Publicationen, welche der Zufall in seine Hand spielte oder welche ihm die zahlreichen Academien, deren Mitgliedschaft er sich rühmen durfte, schenkten, fanden dann keine Gnade und wurden hastig aus seiner Bibliothek entfernt.

In der Büchersammlung spiegelte sich deutlich die vollendete Sauberkeit ab, welche alle Leistungen Jahn's auszeichnete, sowie seine Liebe zur sorg­fältigsten und genauesten Ordnung, welche es niemals begreifen konnte, daß nur das Große gründlich, das Kleine aber und Unbedeutende flüchtig und leichtfertig gearbeitet werden solle, sie sagte deutlich, daß Jahn's Bestrebun­gen sich keineswegs zerstreuten, in das Weite verloren, ein festes Band viel­mehr die verschiedenartigen Richtungen seines Geistes einigte, sein vielseitiges Wirken auf einer klar geschauten und sicher durchgeführten grundsätzlichen Einheit beruhe.

Seine Welt war die Kunst und das Alterthum. Aus dieser Welt hinauszutreten, bewahrte er stets die größte Scheu. Innerhalb ihrer Grenzen dagegen war er desto emsiger bemüht, keinen Platz unerkannt und unerforscht zu lassen, jeden Raum für sich zu gewinnen, das ganze Gebiet bis in die fernsten Ecken frei zu überblicken- Diese beiden Pole der Thätigkeit ver­knüpfte er dann wieder so, daß er auf die Kunstbetrachtung die Methode zur Anwendung brachte, welche er dem Studium des classischen Alterthums abgelauscht, diesem wieder den idealen Sinn, die warme Empfindung zu­führte, welche die Liebe und Erkenntniß der Kunst in ihm groß gezogen hatten.

Daß ihm solches möglich wurde, verdankt Iahn seiner persönlichen Ent­wickelung. Von Natur mit einem reichen musikalischen Sinne begabt, übte