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Mehrheit der Gegner abwehren und zu ihren Gunsten die Parität der Stimmen herstellen konnte. Denn an sich gehörte die Mehrheit wirklich der patriotischen Partei an, die wenn nicht stärker, doch ungleich compacter auftrat, als unmittelbar nach den Wahlen prognosticirr worden war. Damals war man allgemein der Ansicht gewesen, daß von der Partei, die doch manche abhängige Elemente enthielt, eine gemäßigtere Fraction sich abscheiden werde, mit der wenigstens Kompromisse möglich sein würden. Diese Vermuthung erwies sich, als die Kammer zusammentrat, als gänzlich irrig. Bis auf den letzten Mann hielt die patriotische Partei aus, nebst ihren Ministerialräthen, deren einer mit Ostentation als ihr Führer und als der Mauerbrecher gegen das Ministerium proclamirt wurde. Eben jene Legitimationsverhandlungen zeigten zugleich von Anfang an, in welcher rücksichtslosen Weise sie, unbekümmert um alles Herkommen der parlamentarischen Praxis, das numerische Uebergewicht, sobald sie dessen sicher wäre, für ihre Parteizwecke ausnützen würde. Ihr Trotz steigerte sich nochmals sie die Verlegenheit der Regierung bemerkte. Unmöglich erschien jene Lösung, die bei demselben Conflict in Stuttgart gelungen war, wo gleichfalls bei der Präsidentenwahl sieben Scrutinien erforderlich waren, bis eine der gleichstarken Parteien die absolute Mehrheit erhielt, dadurch nämlich, daß einige Wilde, wie dies im würtembergischen Ständesaal stets vorzukommen pflegt, sich dem Einfluß der Regierung zugänglich erwiesen und so das in Würtemberg doppelt schmähliche Ergebniß verhinderten, daß zum Kammerpräsidenten der Führer der Ultramontanen gewählt würde. Eben dieser Einfluß fehlte in München gänzlich, wo selbst die den Ministern nächststehenden Beamten vielmehr auf ein Zukunftsministerium speeulirten, als auf das gegenwärtige glaubten Rücksicht nehmen zu müssen. Während der peinlichen Tage der Scrutinien waren eine Menge Projecte zu einem Ausweg, eine Menge Gerüchte von einem angebahnten Comvromiß verbreitet, die Tag für Tag einander ablösten. Bald hieß es, die Ministerialbeamten hätten einen Wink erhalten, von der Sitzung wegzubleiben, um so eine Wahl zu ermöglichen, dann hieß es wieder, eine Anzahl der patriotischen Abgeordneten sei schwankend geworden und einer versöhnlichen Tactik zugänglich. Endlich sollte ein berühmter Kirchenlehrerin erfolgreicher Weise versucht haben, versöhnlich auf die rechte Seite einzuwirken. Alle diese und andere Gerüchte erwiesen sich als müßig. Nicht ein Einziger verließ seine Fahne. Wenn Neigung zum Abfall vorhanden war, so wurde dem durch den Terrorismus der Parteiführer, welche mit Argusaugen Mienen und Stimmzettel der minder Verlässigen controlirten, kräftig vorgebeugt. Als in der letzten Stunde noch Fürst Hohelohe persönlich eine Intervention Persuchte, um wenigstens die provisorische Wahl eines Bureaus zu Stande zu bringen, war es zu spät. Der Widerstand war geschlossen, unerbittlich. Sogar am Hohn fehlte