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und das russische Kirchenregiment wird sich zu nochmaliger Prüfung der Wünsche des Patriarchen Gregorius entschließen müssen. — In Rußland ist es auf dem Gebiet der inneren Politik während des September eben still geblieben, wie in den Sommermonaten. Der Kaiser verweilt noch immer am Ufer des schwarzen Meeres und die meisten Minister (Fürst Gortschakow, Graf Pahlen, General Miljutin) sind auf Reisen. Für, den Beginn des Winters steht daftjr eine Reihe wichtiger legislatorischer Neuerungen in Aussicht. Im Reichsrath ist ein Gesetzentwurf über Reorganisation des Städtewesens zur Berathung gekommen, der noch zu Zeiten des früheren Ministers des Inneren, Walujew, ausgearbeitet worden war und für die Provinzial- städte (die beiden Hauptstädte sind bereits im Besitz neuer Verfassungen) von besonderer Wichtigkeit sein wird, weil den städtischen Communen größere, wenn auch keineswegs genügende Unabhängigkeit von der Administration zugestanden werden soll. Ferner ist von einer Reorganisation des Klosterwesens und von Amendirung des am 8. April 1865 „probeweise" erlassenen Preßgesetzes die Rede. Nach den Mittheilungen russischer Blätter handelt es sich um eine beträchtliche Verschärfung des Verwarnungssystems, gegen welche die Presse schon gegenwärtig das Mißtrauen der öffentlichen Meinung wachzurufen bestrebt ist. An eine Aufhebung jener Monstrosität, welche nur den in Petersburg uno Moskau erscheinenden Büchern und Journalen Befreiung von der Präventivcensur ermöglichte, die Provinzialpresse dagegen unter strenge Censur stellte, wird von keiner Seite gedacht, denn man hat allen Grund, das Schweigen, zu welchem die westlichen Provinzen des Reichs-und deren deutsche und polnische Bewohner verurtheilt sind, aufrecht zu erhalten. Für die Ostseeprovinzen stehen neue Russisicationsmaßregeln in Aussicht; die Geschäftsführung in den staatlichen Provinzialbehörden soll vollständig russisch in den Gymnasien der Mathematikunterricht künftig in russischer Sprache ertheilt werden. Daß das Ende davon vollständige Russisicirung und Gräci- sirung sein soll, geht aus dem Beispiel der polnischen und lithauischen Ländern unzweideutig hervor. Im Königreich Polen ist die ausschließliche Herrschaft der russischen Sprache in Universitäten, Gymnasien und Verwaltungsbehörden bereits angeordnet, im Generalgouvernement Wilna wird nur noch darüber gestritten, ob die katholischen Gottesdienste künftig russisch oder aber lithauisch, lettisch und shmudisch gehalten werden sollen, über die Ausrottung des polnischen ist man längst einig. Von der turkestanischen Grenze liegen keine neuen Nachrichten über weitere Ausbreitung der russischen Macht vor, dagegen hat der bereits vor vier Wochen todtgesagte Kirgisenaufstand neue Lebenszeichen von sich gegeben. Die ungeheuren, schwachbevölkerten Ebenen, welche das Theater dieser Emeute bilden, machen dieselbe aller- Grenzboten III. 18K9. 65