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Die Lage in Galizien. I.
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Polen und Lateiner (katholische Priester) den gleichen Haß, wie die Demo­kraten Großrußlands und haben ihren Idealismus in Moskau oder in Kiew.

Bis zum I. 1847 wurde die Existenz dieses Stammes, der heute die flagranteste Gefahr für Oestreich ist, fast vollständig ignorirt und die Polen wußten dafür zu sorgen, daß jede directe Beziehung zwischen ihren russischen Bauern und der Wiener Regierung unterbunden war und Galizien allent­halben für ein rein polnisches Land galt. Erst als der Aufstand von 1847 ausbrach und jene Schlächtereien von Tarnow und Lissagora herbeiführte, da die loyalen Bauern den k. k. Beamten ganze Wagenladungen ermordeter polnischer Verdächtiger verkauften, mußte dieruthenische" Nationalität an­erkannt und als besonderer Volksstamm den zahlreichen Stämmen'coordinirt werden, welche die Bevölkerung des Staats bilden, dem ein ruthenisches Actenstück von 1847 den Namen einesk. k. Unterthansvnterlandes" gab. Das Bauernvolk, welches die polnischen Revolutionsversuche der 40er Jahre bändigen geholfen hatte, war eine Zeit lang das Lieblingskind der reaktio­nären Wiener Staatskunst. Man sah es nicht ungern, daß die Bewohner des östlichen Galizien ein Gegengewicht gegen die Polen bildeten, man unter­stützte ihre Bestrebungen zur Herstellung einer nationalen Literatur und Bildung und legte besonderes Gewicht darauf, daß diese werdende Nationa­lität eine ergebene Dienerin der Habsburgischen Dynastie und des bureau­kratischen Centralisationssystems abgab.

Aber diese Freude sollte von kurzer Dauer sein. Als sich die Stellung der Polen nach der östreichischen Krisis von 1859 durch Agenor Goluchowski's Einfluß besserte und in Wien mit ihnen gerechnet wurde, erklärten die ver­verstimmten Führer der Ruthenen, das Volk sei dieses Namens und seiner isoltrten Nationatät müde es gebe in Galizien keine Ruthenen, sondern nur noch Russen und zwar Russen, welche den Kaiser und Selbstherrscher aller Reußen als den Schutzherren ihres Stammes ansehen. In den maaß­gebenden Kreisen der Gebildeten wurde das Schlagwort ausgegeben, daß es mit der specifisch-ruthenischen Literatur Nichts sei und daß diese in die groß­russische Literatur aufgehen müsse. Aus den Zeitungen und Journalen ver­schwanden die lateinischen Schriftzeichen, deren man sich wenigstens zum Theil bedient hatte, großrussische Bücher und 'Redewendungen kamen in Mode und auf kirchlichem Gebiet machte sich das Bestreben geltend, die Verwandtschaft mit dem orientalischen Christenthum zu betonen und den Gottesdienst von allen katholischen Einflüssen zu reinigen. Als um dieselbe Zeit der große Umschlag in Rußlands innerer Politik erfolgte, die Leibeigen­schaft aufgehoben, die Presse freigegeben, demokratischen und nationalen Ein­flüssen Thor und Thür geöffnet wurde, nahm der russische Einfluß von Tag Grenzboten III. 18V9, ' 19