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Die kirchlichen Zustände der Provinz Hannover : Correspondenz aus Ostfriesland.
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Betheiligung am Abendmahl gefordert, und die in Hannover höchlichst überraschende Folge dieses Sicherheitsdammes gegen das Eindringen unchrist­licher Elemente in den Kirchenvorstand war die, daß fast alle wirklich ernst kirchlichen Leute ausgeschlossen wurden und meist Personen gewählt werden mußten, die zwar öfter zum Abendmahle gegangen, aber den Geistlichen im Grunde weit weniger willkommen waren, als die durch das Gesetz als unkirchlich ausgeschlossenen.

Hatte nach dieser Richtung hin Ostfriesland am meisten zu klagen, so waren in den übrigen Landeslheilen sonstige Beschwerden wider das Kirchen­regiment reichlich genug zu führen. Eine Anzahl Geistlicher hatte um dieselbe Zeit, als der neue Katechismus zuerst eingeführt wurde, aus dem längst vergesse­nen Staube alter Kirchenordnungen eine Taufformel hervorgesucht, die dem Zeitbewußtsein gradezu Hohn sprach, und wendeten sie trotz aller Proteste regelmäßig an. Namentlich die den Taufzeugen zugemuthete Beantwortung der Frage: Entsagst Du dem Teufel und allen seinen Werken? erregte überall An­stoß, und in der starken kirchlichen Bewegung des Jahres 1863 gelang es endlich, ein Kirchengesetz durchzusetzen, durch welches die Geistlichen bestimmt verpflichtet wurden, auf das Verlangen des Vaters eine allgemein gehal­tene angemessene Taufformel, die das Gesetz genau normirte, zu gebrauchen. Diesem Gesetze nun fügten sich die orthodoxen lutherischen Geistlichen in vie­len Fällen nicht und die Kirchenregierung war schwach genug, den Trotz der Geistlichen zu dulden. An vielen Orten wurde', um eben zu sehen, in wie weit die absichtliche Auflehnung wider das Gesetz wohl geduldet Werden würde, von einzelnen Eltern durch alle Instanzen hindurch verlangt, daß der Ortsgeistliche die gesetzlich vorgeschriebene Tausformel zur Anwendung bringe. Aber das Resultat war in allen Fällen dasselbe, es wurde stets entschieden: da der betreffende Geistliche sich durch sein Gewissen gedrungen fühle, die Anwendung der gesetzlichen Formel abzulehnen, so könne man ihn nicht dazu zwingen, übrigens müsse er natürlich die Vornahme der Taufe durch einen anderen Geistlichen dulden, ohne dafür selbst Gebühren fordern zu können." Auf andern Gebieten des kirchlichen Lebens machte sich der geistliche Hochmuth in gleicher Weise geltend. Ueberall wurde unter der FirmaHandhabung der Kirchenzucht" ein anstößiges Sittengericht eingeführt. Wer zum Trau­altar treten wvllte, mußte sich einem scharfen Examen unterziehen, ob die Braut auch das PrädicatJungfrau" verdiene; selbst unbescholtene an­gesehene Bräute wurden von den Geistlichen mit plumpen Fragen in dieser Richtung verhört. Wurden dagegen Versuche gemacht, Geistliche wegen gro­ber Beleidigungen gerichtlich zu belangen, so wurde die Zuständigkeit der Gerichte bestritten und dem Geistlichen das Recht vindicirt.als Seelsorger" ernste Vorwürfe machen zu dürfen; die wala, üäes der absichtlichen Beleioi-