Beitrag 
Ueber politische Geschwornengerichte.
Seite
404
Einzelbild herunterladen
 

404

oder Aufruhrsprocessen anhaften? Es ist in Wahrheit das reine Spießbürger- thum, das nur in den letzteren den politischen Reiz empfindet.

Aber wenn doch auch nur diese Art von politischem Kitzel darauf rechnen könnte, durch die ersehnte Erweiterung der Schwurgerichtscompetenz wesent­lich befriedigt zu werden! Das Gegentheil ist mit Sicherheit vorauszusehen. Die berufsmäßigen Vertreter der periodischen Presse und die Wortführer der Wahl- und Bezirksvereine, die sich am stärksten für jenes Postulat erwärmen, sollten es am besten wissen, daß ersahrungsmäßig fast alle politischen Tra- casserien, denen sie ausgesetzt gewesen, die überwiegende Mehrzahl der Straf­verfolgungen, in denen sie vor den Staatsrichtern nicht Recht gefunden zu haben glauben, sich ausschließlich um die Deutung eines Wortes oder einiger Redewendungen gedreht haben. Nicht das stand der Regel nach in Frage, was die Verfolgten gesagt oder geschrieben hatten, sondern lediglich die straf­bare Bedeutung der incriminirten Aeußerungen. Nun ruht ja bekanntlich die verfassungsmäßige Stellung der Jury in England wie in Deutschland auf dem Fundamentalprincip, daß die Geschwornen nur die quöstion ot tact, die reine Thatfrage zu entscheiden haben, die Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Fall aber unbedingt Sache des Richters sei. Ebenso be­kannt ist es in deutschen Landen, daß wir unter dem Vorgange der franzö- silchen Juristen uns Jahrze-Hnte hindurch alle erdenkliche Mühe gegeben haben, die Trennung zwischen That- und Rechtsfrage möglichst scharfsinnig zu reguliren, um durch weitgehendste Ausscheidung aller sogenannten Rechts­begriffe aus der Fragestellung die Geschworenen mit ihren Wahrsprüchen thatsächlich recht trocken zu legen. Es müßte wirklich sonderbar zugehen, wenn sich bei Übertragung der landläufigenpolitischen" Vergehen auf die Schwurgerichte, wie sie heute sind, nicht von unseren Juristen zur Ueberzeu­gung erweisen ließe, die Geschworenen hätten selbstverständlich nur zu ent­scheiden, was geschrieben oder gesprochen worden sei, nicht aber die criminelle Strasdarkeit der Aeußerung. Vielleicht stellte man den Satz auch nicht so kraß hin, wie ich eben gethan, und begnügte sich mit einer praktischen Casuistik, die überall die einzelnen Paragraphen des Strafgesetzbuchs authentisch inter- pretirte, was in ihnen als Rechrsbegriff der Auflösung in die Merkmale des concreten Thalbestandes vor den Geschworenen bedürfe. Hier ist unendlicher Spielraum für eine subtile Jurisprudenz. Wenn z. B. auf dem Gebiete der Fälschung die Frage, was eine Urkunde sei, als Rechtsbegriff den Geschwo­renen entzogen worden ist, so würde dasselbe auf dem weiten Gebiet der Ehrverletzungen mit- den Begriffen derBeleidigung" undVerleumdung" zu deduciren sein. Vollends bei Anwendung derartiger Strafbestimmungen, wie sie die berufenen §§- 100 und 101 des preußischen Strafgesetzbuchs ent­halten, würde sich das schönste Versuchsfeld sür die Methode dieser Schwur-