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Provenzalische Streit- und Rügelieder.
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Castellane von Gujan, von denen er Uebles gesagt hatte, ihn umbrachten. Die andere Version giebt an, er sei aus Gascogne und der Sohn einer armen Frau, Maria Bruna, gewesen. Auch nach der zweiten Handschrift machte erböse Gedichte und schlimme Sirventese und sprach übel von den Frauen und von der Liebe." In dieser letzten Eigenschaft, so zu sagen als Antierotiker, werden wir ihn näher zu betrachten haben; doch mögen zuvor noch einige bedeutsame Züge aus seinen übrigen Sirventesen folgen. Auch von ihm besitzen wir ganz nach Art des erwähnten Liedes des Mönchs von Montaudon ein Glaubensbekenntniß, worin er mit großer Naivetät über die leitenden Gesichtspunkte seines Denkens und Handelns Rechenschaft ablegt.Dafür spricht er lob ich Gott und St. Andreas, daß Niemand von feinerem Verstände ist wie ich, aber ich mache nicht viel Redens davon. Ich bin so reich an listigem Sinne, daß es sehr schwer hal­ten möchte, mich zu betrügen. Das Brod der Thoren esse ich, wenn es noch warm und weich ist, und lasse meines unterdessen erkalten. So lange des Narren Vorrath aushält, schwöre ich ihm, daß ich mich von ihm nicht trennen könne, aber wenn er kein Brod mehr hat, dann mag er vergeblich nach dem meinigen jammern. In dem Gehege eines Anderen lasse ich lustig und frei meine Hunde bellen, aber mein Besitzthum habe ich so geschützt, daß ich ganz allein es genieße. Jeder nehme sich vor mir in Acht, denn mit solchen Künsten gedenke ich zu leben und zu sterben." In seinen moralischen Sirventesen wendet sich Marcabrun zunächst gegen die allgemeinen Gebrechen der Zeit und klagt besonders über den Verfall der wahren Liebe und Höf­lichkeit. Der Ton. welcher in diesen Gedichten herrscht, ist bei manchen ge­haltlosen, oft cynischen Ausfällen im Ganzen von warmer Empfindung durch­weht und wird eines bedeutenden Eindrucks auf den Leser kaum verfehlen. Wahrhaft gewaltig ist z. B. jenes Bild von dem ungeheuren Baume, der seine Wurzeln tief in die Erde senkt, während seine Wipfel bis in die Wolken ragen. An ihn sind unzählige Menschen gefesselt, alte und junge, Könige, Grafen, Fürsten und Admirale. Denn der mächtige Baum ist die Schlechtig­keit der Welt und Geiz und Habsucht sind die Fesseln. welche die Herzen der Menschen umschlingen, so daß kaum einer sich losreißt. Ein anderes vortreffliches Gedicht besingt den Werth der guten Sitte oder, um den ent­sprechenden mittelhochdeutschen Ausdruck zu gebrauchen, die^e. Der würdige Ernst dieses Liedes ist kaum mit den losen Scherzreden des an­geführten Glaubensbekenntnisses in Einklang zu bringen, und fast könnte man auf den Gedanken kommen, Marcabrun habe in jenem Schelmenliede nur das egoistische Treiben seiner Zeitgenossen persiftiren wollen. Bei der durchweg praktischen Richtung unseres Trobadors kann es übrigens nicht Wunder nehmen, daß er mit mancher der überschwä»glich schwärmerischen Strö-

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