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Provenzalische Streit- und Rügelieder.
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Unter den zahlreichen Vertretern der persönlichen Sirventeses gibt es vorzüglich zwei Sänger, welche durch dichterische Begabung und Originalität, in Leben und Meinungen die Mitstrebenden so bedeutsam übertreffen, daß der Blick beim Ueberschauen des ganzen Gebietes unwillkürlich an ihnen haften bleibt. Es sind dies der berühmte Marcabrun und der von den Zeit­genossen ebenso gefürchtete wie geehrte Mönch von Montaudon. Schon die Laufbahn des letzteren vom rauhen Ordenskleide bis zum heiteren Gewände und zur ungezügelten Lebenslust eines freien Dichters gewährt ihm Anspruch auf den Namen eines Originals. Den Namen des Mönches haben uns die alten Handschriften nicht überliefert, doch erfahren wir, daß er aus einer vornehmen Familie stammte, welche ihren Sitz auf dem Schlosse Vic in Auvergne hatte. Er wurde, wie sich die Lebensnachricht naiv genug aus­drückt,zum Mönch gemacht", trat in die seinem Stammschloß benachbarte Abtei Orlae ein und bald sandte ihn sein Abt als Prior nach Montaudon. Bald zeigte es sich, daß er eben nur eingemachter Mönch" war, denn er fing an im Kloster Strophen zu dichten und Sirventese über die Tages­ereignisse der benachbarten Gegenden. Die Cavaliere aber und die Grafen der umliegenden Schlösser fanden Gefallen an seinem kecken Wesen, zogen ihn zu ihren Festen und Gelagen und beschenkten ihn reichlich. All seinen Gewinn wandte er der ihm untergebenen Priorei zu, und der Aufschwung, den diese nahm, mochte ihm die Verzeihung seiner Obern für die mannich- fachen Übertretungen der Ordensregeln sichern. Endlich wandte sich der Mönch mit der inhaltvollen Bitte an den Abt von Orlac, es möge ihm er­laubt sein, sich in seinem Thun und Lassen nach den Befehlen des Königs Alfons von Aragon zu richten. Der fromme Vater Abt gewährte die Bitte dem um das zeitliche Gedeihen der Mitbrüder so wohl verdienten Prior, und König Alfons. ein eifriger Förderer der freien Muse, hatte nichts Eiligeres zuthun, als dem Mönch zu befehlen, daß er Fleisch essen, heiteren Gesang Pflegen und sich um die Gunst einer Dame bewerben solle.Und so that er", setzt die Handschrift hinzu.

Um diese Zeit befanden in Puy Sainte Marie Zusammenkünfte der vor­nehmsten Edlen und Grafen, der berühmtesten Sänger und der schönsten Frauen statt, welche den ritterlichen Uebungen auf dem Turnierplatze und dem edleren Wettstreit geschickter Trobadors geweiht waren. Zum Vorsteher dieser Feste, zumHerrn des Hofes von Puy" wurde jetzt der Mönch von Mon­taudon ernannt und mußte in dieser ehrenvollen Eigenschaft den berühmten Sperber halten. Mit dem Sperber aber hatte es folgende Bewändtniß. Bei einem jeden der in bestimmter Zeitfolge wiederkehrenden Feste trat der Herr des Hofes von Puy in die Mitte der Versammelten, nahm einen Sperber auf die Faust und wartete, bis ihm einer der reichen freigebigen Barone